Tag 5 – von Bettmar nach Arnum



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Tag 5 & 6- von Bettmar nach Arnum

Da ist also diese grobe Route, der wir folgen. Westen. Immer schön gen Westen. Aber auch wenn Christian schon vor dem Aufstehen mit Handy, Tab und Motorradkarte (!) hantiert, lautet die Regel: Immer fein flexibel bleiben. Immer mit Überraschungen rechnen. Immer brav entspannt bleiben. Weißt du doch beim aufstehen noch nicht, ob deine Beine heute so mitmachen, wie du es erwartest und die geplante Route es erfordert. Ob das Wetter mitspielt (tut es momentan noch vorbildlich). Also gibt’s nichts, auf das wir uns verlassen (können). Sicher ist nur: Vorm dunkel werden steht unsere Schlafstätte. Wo auch immer. Na ja, sagen wir mal vor Tinas Aufstehen, die beim Campen eine für sie ungewöhnliche Leidenschaft fürs Langschläfertum entwickelt. Ich habe morgens einfach oftmals noch 20 Minuten Zeit, um die Route des Tages zu planen. Und ja, es ist richtig. Ein festes Ziel gibt es abends selten. Die Tagesform ist eben ausschlaggebend und die lässt sich meistens nicht mal morgens genau bestimmen.
Die ursprüngliche Überlegung, doch ruhig auch mal wild-romantisch an einem kleinen Bach, auf einer Wiese oder gar im Wald zu zelten, erscheint mir inzwischen alles andere als verlockend. Dazu bin ich zu wild auf die Tages-Belohnung in Form einer heißen Dusche. Verschwitzt in den Schlafsack kriechen, nö. Können die anderen gerne tun. Ich möchte sauber und wohlriechend ins Land der Träume. Halten wir also fest: Forrest Gump hatte Recht – jeder Tag ist wie eine Schachtel Süßes. Jeder Campingplatz nur solange ein nichtssagender Name, bis man ihn betritt. Auf Platz 1 unserer zugegebenermaßen noch sehr kurzen Hitparade der Zeltplätze steht der Waldsee-Campingplatz in Bettmar. Von geradezu absurder Romantik mitten in der Feldmark, knapp 15 Kilometer von Braunschweig entfernt.
Ohne Anmeldung schlagen wir ziemlich erschlagen um 16.45 Uhr nach flotten 60 Kilometern da auf. Eine Rezeption entdecken wir erst mal nicht. Dafür kommt ein jungenhafter Endzwanziger auf uns zu. Wir halten ihn für den Sohn der Campingplatzbesitzer. Manuel Ziebeil ist tatsächlich der Sohn von Campingplatzbetreibern. Allerdings ist dieses idyllische Fleckchen von überschaubaren 65.000 Quadratmetern sein Eigen. Der gelernte Erzieher hatte nach sieben Jahren Lust nämlich Lust auf eine neue Herausforderung. Na klar, dann kauft man eben mal einen Campingplatz. Gibt tatsächlich blödere Ideen. Und wir sind ziemlich sicher: Manuel hat mit diesem Fleckchen Erde definitiv nicht den Zonk gezogen.
Der blonde Schlacks mit Baseballcap macht einen echt guten Job. Ist freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit, absolut unkompliziert. Und mutig. Hat einen Kredit in Höhe eines Bungalows aufgenommen, um den Campingplatz seiner ehemaligen Besitzerin abzukaufen. Schuftet nebenbei noch als Grundstückspfleger und hofft, ab kommenden Jahr diesen Zweitjob an den Nagel hängen zu können. Gefragt, ob er über Bewirtung / Gastronomie nachdenkt, schüttelt er den Kopf. Kosten-Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Hat er ja bei seinen Eltern gesehen.

Der freundliche Manuel Zielbeil ist ein Campingplatz-Betreiber, wie man ihn sich nur wünschen kann.

Manuel überlässt uns die Wahl unseres Platzes und nach Umrundung des kleinen, Schilfbewachsenen Teichs entscheiden wir uns für die große Wiese, auf der lediglich zwei Graugänse ihrer Empörung Luft über unser Auftauchen machen. Schnatternd rennen sie in einiger Entfernung hin und her, hopsen dann in den Teich und schwimmen rüber zum pinkfarbenen Riesen-Flamingo, mit dem später und am folgenden Morgen die voluminöse Eigentümerin in der Nachmittagssonne über den Teich paddelt.
So dick war sie nun auch wieder nicht. Immerhin konnte man diesen filigranen, zwei Meter kleinen Gummivogel noch gut unter ihr erkennen.
Wir bauen unser Zelt neben einer alten Trauerweide auf, ich will eigentlich direkt eine Runde schwimmen. Christian behauptet, eine Bisam- oder eine Wasserratte gesehen zu haben. Außerdem ist er sicher, dass es auch Wasserschlangen gibt, von großen Fischen (Karpfen?) mal ganz abgesehen. Vielen Dank auch, dann mache ich jetzt halt das Abendessen.Na, also geht doch. Ich bleibe übrigens konsequent bei meinen Behauptungen, schließlich verhungere ich nicht nur Abends. Vielleicht hilft dieses mystische Gerücht um diverse Seeungeheuer ja auch Manuel, seinen Platz dauerhaft gut zu füllen. Zu wünschen wäre es ihm jedenfalls.
Blöderweise findet sich der Korkenzieher für unseren Lieblingsweißwein nicht. Da hilft nur beherztes rübergehen zu den Dauercampern, deren Boxerhündin mich freundlich anbellt, während ihr massiv übergewichtiges Herrchen sich nicht mal die Mühe macht, seine massige Wohlstandsbeleibung zu verhüllen. Ja, ja, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, aber ich frage mich ernsthaft, womit er seine Leibesfülle hätte verdecken sollen, so dass ihn seine Füße noch hätten tragen können. Fantastisch, Dickenwitze… Ich entschuldige mich höflich für die Störung und erkläre, wir würden uns gerne betrinken wollen, hätten aber keinen Korkenzieher. Der Dauercamper schaut betroffen, wuchtet sich aus seinem stabilen Stuhl und wankt in den Wohnwagen, kommt mit einem Schweizer Taschenmesser zurück (meins liegt in der heimischen Schublade, weil Christian es als überflüssigen Ballast beschimpfte) und reicht es mir. Gut, dass ich mal in ‘ner Kneipe gearbeitet habe. Der Mann einer schweigenden Schwarzhaarigen schaut sehr aufmerksam zu, wie ich die Flasche vom Korken befreie, merkt an entsprechender Stelle ein “jetzt kräftig ziehen” an. Merke: Gentleman sind schon im echten Leben rar gesät. Auf Campingplätzen sind sie quasi gar nicht zu finden.

Heute aus der Abteilung: Wie man Wein ohne Kühlschrank kühlt.

Nach dem Essen gibt’s noch den obligatorischen Kniffelmarathon und dann husch, husch ins Körbchen. Nachtruhe finde ich übrigens keine: Schon mal Kopf an Froschmaul geschlafen? Herzlichen Glückwunsch. Nichts, was ich meinem ärgsten Feind wünsche. Ein komplettes Sinfonieorchester liebestaumeliger verzauberter Prinzen beginnt sein Konzert gegen 21.30 Uhr und endet ziemlich genau 12 Stunden später. Zwischendurch schalten sich noch diverse Singvögel ein. Wundervoll. So schlecht habe ich selten nicht geschlafen. Für alle jene, die ebenfalls keine ausgewiesenen Ökolärmfans sind: Ohropax ist das einzig probate Mittel, wenn man denn unbedingt an einem Schilfumsäumten Teich zelten möchte.

Nach dem ersten Ruhetag der Tour geht’s am 9. Mai endlich weiter. Natürlich nicht ohne Panne. Auf dem Weg zur Dusche kommt die Dauercamperin mit dem hüfthohen Porzellanpudel vor dem Zelt aus ihrem kleinen Gartentor, in der Hand einen riesigen Sack mit Plastikmüll. Offensichtlich fährt sie auf Fertiggerichte ab und vermutlich qualmt sie wenigstens zwei Schachteln täglich. Die Königspudelinhaberin schwingt ihren kleinen knochigen Körper auf ihr Klapprad, schimpft dabei über den Staub, der durch die unbefestigten Wege so viel Schmutz macht, und fährt vor sich hin murrend die 20 Meter bis zum Müllcontainer. Ich schiele zum Wohnwagenfenster, wo gestern der große, flauschige, weiße Königspudelkopf mit den schwarzen Knopfaugen mit sehnsüchtiger Traurigkeit nach draußen zu schielen schien. Wir konnten bis zu unserer Abfahrt nicht klären, ob es sich tatsächlich um ein lebendiges Wesen handelt, um ein ehemaliges Lebewesen (jetzt ausgestopft) oder einfach nur ein riesiger Rummelgewinn war. 

Ich will vor Abfahrt noch duschen und Haare waschen und es passiert, was im Rückblick durchaus einen gewissen Witz zu haben mag: Mit eingeschäumten Haaren unter einer versiegenden Dusche zu stehen. Ja. Ich alter Sparfuchs drehe brav das Wasser ab, während ich mich und mein Haupthaar einseife. In der irrigen Annahme, Wasser zu sparen. Hab ich am Ende auch. Nur keine Zeit. Und wenn die abgelaufen ist – dann gibt’s auch kein Wasser mehr. Dank meines angelernten Pragmatismus erscheine ich doch noch ohne Schaumreste, dafür mit wehender Mähne zum Frühstück. Und deswegen heute aus der Abteilung kostenlose Ratschläge für Campingplatzduscher: Immer eine leere Wasserflasche dabei haben. Am besten die 1.5 Liter. Dann kann man im Notfall in die Spülküche eilen, warmes Wasser einfüllen, und sich in der Dusche vom restlichen Schaum befreien. (Ich habe übrigens vier mal Wasser nachgefüllt. Ins Handtuch gewickelt und gebetet, dass keiner kommt und blöde Fragen stellt). 

Keine Atempause – die weitere Route wird geplant.

Wir starten um 11.09 Uhr mit einem Umweg von circa 4 Kilometern, bis uns das Navi auf den rechten Weg zu unserem nächsten Ziel schickt. Bei Kilometer sechs, wir ruckeln mehr, als dass wir fahren, über sehr holperige Feldwege, lösen sich erneut die Schrauben meiner Lenkertasche. Und erneut löst Christian das Problem mit einem Fingerschnippen. Es ist schwül, was aber nicht weiter stört, weil wir wunderbaren und dabei konstanten Rückenwind haben. Es fliegt sich gerade so durch hinreißende kleine Fachwerkdörfer, von denen mindestens fünf in die engere Wahl kämen, wenn wir denn aufs Dorf ziehen würden wollten. Und dann erreichen wir nach eher durchschnittlichen 56,94 Kilometern um 17.15 Uhr unsere nächste Übernachtungsmöglichkeit. Arnum, in der Nähe von Hannover.

Wir sprachen ja bereits über Campen im Allgemeinen und unsere ganz persönliche Irritation ob der Menschen, die ihre Wohnwagen geradezu einmauern, im Besonderen. Ob mit Tom-Sawyer-artigen Bretterzäunen, mannshoch und blickdicht, oder durch Bambusmatten, Plastikplanen oder ökologisch vorbildlich durch diverse Anpflanzungen. Über die Freiflächeninventarisierung, die von Korbsesselensemblen über Kübelpflanzen und Carports für den zusätzlich mit Plane abgedeckten Mercedes, Audi oder SUV könnten wir einen Bildband rausbringen. Ohne sich in den Plattitüden der Vergangenheitsverglorifizerung zu verlieren: DAS hat in unseren Augen nichts mehr mit Campen zu tun. Wenn am Wochenende / im Urlaub unterm Strich alles wie zuhause ist …uns bleibt nur eins. Wir ziehen die Toleranzkarte, wenn auch mit einer gehörigen Portion Spott. Ja, es ist schräg, wie auf den Campingplätzen in Malge oder Niegripp oder auch in Bettmar der Ursprung des Campings ad absurdum geführt wird. Schräg und für uns nicht nachvollziehbar. Aber was uns an Tag  6 unserer Tour als Campingplatz verkauft wird, schlägt alles. Bemüht, die schönsten Übernachtungsplätze zu finden, entscheiden wir uns für den Seecampingplatz Arnum, zwischen Hildesheim und Hannover, auf den ersten Blick durchaus romantisch gelegen. 
Wir schlucken, als die auf beiden Oberarmen mit bunten Schmetterlingen und Tierpfotentatzen tätowierte Lady an der Anmeldung ein fröhliches “Ein Zelt, zwei Personen? Macht 20 Euro”, schmettert. Strom kostet noch mal 2 Euro, die kleine Maschine Wäsche waschen 4 Euro, der Trockner weitere 2,50 Euro. Und nein, in den 20 Euro Standgebühr ist das duschen selbstverständlich nicht enthalten. Wir dürfen uns in der Forellenbucht einen Platz aussuchen. Forellenbucht klingt idyllisch. Ist es auch. Theoretisch.

Praktisch ist es eine so unglaubliche Unverschämtheit, dass eine halbe Stunde lang Heringe (für nicht-Camper: Haken, um das Zelt im Boden zu verankern), Portemonnaies und Schuhe tief fliegen, eine Tüte Gummitiere in Rekordverdächtigen 73 Sekunden getötet werden. Gerne würden wir unserer Wut auch stimmlich Ausdruck verleihen. Verdammte gute Erziehung. So grummeln und zetern wir nur halblaut über den viel zu trockenen Boden, in den man nicht mal mit Hilfe eines Hammers die Heringe versenken könnte. Es ist wie es immer ist: Wenn Wut kein angemessenes Ventil findet, multipliziert sie sich. Unsere potenziert sich mit jedem Atemzug. Was also tun? An der Rezeption unter allerlautestem Protest den Zwergenaufstand proben? Mit schlechten Bewertungen drohen? Oder besser gleich abreisen? Natürlich bleiben wir, viel zu erschöpft, um weitere 40 Kilometer zum nächsten Campingplatz zu radeln. 

Schließlich finden wir ein Stück Wiese, natürlich ohne irgendwelche Schattenspendenden Bäume, auf der wir unser Zelt aufbauen. Um uns herum übrigens kein einziger Wohnwagen, sondern nur Häuser. Selbstverständlich eingemauert / eingezäunt. Inklusive Gartenzwergen, Blumenkübeln, albernen Lebensweisheiten auf Schildern. Wenn es je einen Ausdruck für Spießigkeit gegeben hat – hier auf dem Campingplatz, der in Wahrheit ein absurdes Sammelsurium von Ferienhäuser in größtmöglicher  Dichte ist, findet er zu seiner absoluten Vollendung.
Abgenervt, bockig und empört, steigert sich unser Gefühl, am falschen Ort zu sein und dafür auch noch abgezockt zu werden. Zum ersten Mal sind wir beide gleichermaßen frustriert. Und nicht nur frustriert. Ich bin richtig sauer. Was uns hier als “Campingplatz” verkauft wird, ist eine hochkomprimierte Wochenendhaussiedlung mit Uferstreifen, auf dem zum Zwecke eines (siehe oben – erheblichen) Zusatzeinkommens nun auch noch Plätze an Camper vermietet werden. Ausgedörrter, steinharter Boden, kein schattiges Plätzchen und Promenadenmobiliar, das schon im Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich habe im Laufe der letzten 4 Jahre so einige Campingplätze erlebt, aber keiner, nicht einmal in Serbien oder der Türkei, war schlechter. Wobei schlechter nicht ganz stimmt, aber auf keinem habe ich mich jemals so abgezockt gefühlt. Ich stelle mir wiederholt die Frage, ob die Campingplätze ein Spiegel unserer Gesellschaft sind in der jedes bisschen verwertbarer Boden zu barem Geld gemacht wird. Denn von einer Schuld der Campingplatzbetreiber zu reden ist natürlich Blödsinn. Es ist wohl eher eine Frage von Angebot und Nachfrage. Jeden Morgen steht ein Doofer auf, an den sich auch an einem Ententeich noch ein bisschen Urlaubsfeeling verkaufen lässt. Bei mir schleicht sich inzwischen schon wieder mein übliches Tourgefühl von plötzlicher Weltfremdheit ein. Was machen die Menschen nur?

Hohn und Spott zu diesem Platz wird es noch geben, aber im Moment muss ich das erst einmal sacken lassen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Zwei Dinge entschädigen uns wenigstens ein bisschen. Zum einen können wir beim Abendessen mit leidenschaftlicher Begeisterung über ein junges Paar lästern die mit ihrem schwarzen Mercedes aus Hannover gekommen sind, einen kleinen weißen Flauschhund dabei haben, genau wie Tisch und Stühle, High-Tec-Grill und Schlauchboot, ihre Luxusluftmatratzen mit elektrisch betriebener Luftpumpe zu voller Pracht bringen – und garantiert das erste und letzte Mal gezeltet haben. Zum anderen gibt es in der Spülküche zwei kleine Tische mit Bänken Drumherum. Unser Kniffelmarathonabend ist mückenfrei und gemütlich. Arnum aber wird – was immer noch kommen mag – den allerletzten Platz beim Campinplatzranking einnehmen.

So stellt man sich den optimalen Arbeitsplatz eines Autors vor? Stimmt. Ist er.

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