Tag 9 – von Porta Westfalica nach Bad Rothenfelde



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Tag 9- von Porta Westfalica nach Bad Rothenfelde

Eigentlich hatte ich den Campingplatz im Weserbogen für einen Ruhetag ausgesucht. Aber irgendwie passt es nicht. Wie so oft, gibt es auch hier keinen Platz, an dem man vernünftig kochen oder gar schreiben kann. Eine Tatsache, die uns ein bisschen stört und mich echt verwundert. Werden es doch gefühlt immer mehr Reiseradler und die sind nun einmal hauptsächlich mit dem Zelt unterwegs. Oder täusche ich mich da?   Du täuschst dich an dieser Stelle. Und zwar gewaltig. Wir haben bislang gerade mal vier Reiseradler getroffen und gesprochen, und zwei an uns grußlos vorbei rauschen sehen. Was ich schon enttäuschend finde. Warum also auf den Campingplätzen Sitz- und Kochmöglichkeiten zur Rarität werden… ich weiß es nicht.   Aber ich. Ok, nicht wissen, aber vermuten. Für mich liegt es auf der Hand: Robuste Sitzmöglichkeiten inklusive Tisch brauchen Platz und kosten Geld. Den Platz eines Zeltes. Und weil es mit einem Sitzplatz-Ensemble pro Campingplatz nicht getan ist, verzichtet man auf Kosten, um weitere Einnahmen verbuchen zu können. Die inzwischen gemachten Erfahrungen sprechen allerdings ein wenig für sich. Denn gerade die kleineren Plätze bieten oftmals ein ursprünglicheres Campingerlebnis, wohingegen sich die großen, wie z.B. der Weserbogen, auf Strandbad, Gastronomie und vorwiegend Caravans zu konzentrieren scheinen. Also könnte man davon ausgehen, dass wir primär kleinere Campingplätze anfahren sollten, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Heute sollte es aber mal wieder ganz anders kommen.

Rechts? Links? Geradeaus? Erst mal selber schauen, nicht nur aufs Navi bauen.

Wenn ich morgens die Route plane, weiß ich nicht genau, was mich erwartet. Ich habe eine ungefähre Distanz, die ich zu planen versuche, suche auf der Strecke nach Einkaufsmöglichkeiten und schaue, dass ich uns von den großen Hauptstraßen fernhalte. Und genau diese Punkte machen die Planung mitunter schwierig. Schwierig, aber lebensrettend! Zwar sehe ich auf dem Navi, wo Berge unseren Weg kreuzen und auch grob, wie hoch die sind, aber selten kann ich die sie überquerenden Straßen einschätzen. Wie also der Belag aussieht, wie die Steigung und ob uns an den Straßenrändern wilde Tiere oder Drogendealer erwarten, verrät mir mein Navi nicht. Ich stelle dann eine Liste von zu durchfahrenden Ortschaften zusammen und klemme sie mir an die Karte, um nicht ständig auf das Telefon/Navigationsgerät schauen zu müssen. Mit ein bisschen Glück finden wir dann Radwege zu diesen einzelnen Zwischenzielen, das ist aber bislang nicht immer der Fall gewesen. Je nachdem, wie sadistisch der Radwegplaner gewesen ist, kommen manchmal dann mehr oder (gaaaaanz selten) weniger Kilometer am Ende zusammen. Plane ich 55 Kilometer werden es im Normalfall 60 oder 65 und das ganz ohne Verfahren. Dabei macht das Navi einen echt guten Job und leitet uns oft durch abgelegene Wälder auf meistens sehr gut befahrbaren Straßen. Aber nur Wald, nur Dorf oder nur Kanal ist eben genauso langweilig wie nur Stadt. Daher meine Umplanung nach Ortschaften, um wenigstens einmal ein bisschen Abwechslung in die Route zu bekommen. Was mich das mitunter nervt! Ausgewiesener Radweg – und wir nehmen trotzdem die Abbiegung. Nicht selten habe ich das Gefühl, wir fahren Umwege. Trotzdem kommen wir unterm Strich immer an. Erstaunlich, irgendwie.

Wenn’s kracht und ächzt, muss der Fachmann dran: Ständerschrauben nachgezogen – fertig.

Als wir heute morgen losfahren, ist wiedermal alles doof. Der vierte Fahrtag in Folge, wir fühlen uns mal wieder ein bisschen abgezockt, kein Frühstück. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Tag startet nicht wirklich gut. Beide haben wir keine gute Laune und die wird auch nicht besser, als wir nach Bad Oeynhausen hereinfahren. Obwohl das Wesertal uns eine wunderbare Auenlandschaft bietet, donnern über uns die Bahn und A2 hinweg und machen das navigieren wieder einmal unmöglich. Dass wir vorher vier Kilometer in die falsche Richtung mussten, um uns mit etwas Essbaren zu versorgen; dass sich der Himmel zuzieht und die Temperatur irgendwo zwischen kochend heiß und eiskalt liegt, verschlimmert meine Laune zusätzlich. Wir fahren mal wieder entgegen der roten Pfeile, eine Gruppe Rentner auf ihren E-Bikes fahren meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Ich wage aufgrund der angespannten Stimmung aber keine Bemerkung zu machen, ahne aber, was passieren wird. So landet das Handy nach einer fehlverstandenen Navigationsaufforderung auch bald irgendwie aus Versehen im Acker neben dem Radweg. Dieser kleine cholerische Anfall sorgt dann auch für eine Zwangspause, die wir damit verbringen, Smartphone-Ostern zu spielen. Mit Argusaugen verfolge ich die sanfte Flugkurve des inzwischen echt olle Smartphone mit seiner bedauernswerten Spiderapp im Display. Ich gewinne die Suche und überreiche unseren doch eigentlich so treuen und zuverlässigen Lotsen an mein Rumpelstilzchen. Danke übrigens für die kleine Frust-Eruption. Sie hat geholfen, meine eigenen Befindlichkeiten zu vergessen. Offensichtlich habe ich die Gefühle meines elektronischen Begleiters aufs Ärgste beleidigt, denn nun fängt er an, uns im Zickzackkurs bergauf, bergab an Windkraftanlagen und durch hässliche Spießerreihenhaussiedlungen zu navigieren. Das hat zur Folge, dass unsere Kräfte schwinden und die Stimmung zu kippen droht. Und noch einer droht: Der Himmel über uns zieht sich ein ums andere Mal fürchterlich zu und scheint sich für einen gewaltigen Regenschauer zu sammeln, der uns dann aber doch den ganzen Tag erspart bleiben wird. Wenn die Tour zur Tortur zu werden droht, dann weißt du, dass irgendwas gerade ziemlich schief läuft. Einziger Trost ist das Wissen, dass es eigentlich nicht mehr schlimmer werden kann. Kaum sind wir aus dem Wesertal raus, müssen wir uns durch den Teutoburger Wald kämpfen, der aber im Gegensatz zum völlig überbevölkertem Tal mit viel wunderschöner Natur und weiter Landschaft protzt. So wie die Umgebung wechselt auch unsere Stimmung plötzlich. Klar, wir sind immer noch erschöpft, aber wenigstens können wir wieder durchatmen und trotz der teils saftigen Steigungen unseren Gedanken freien Lauf lassen. Die Ruhe tut gut und macht das, was sie soll, beruhigen. Die Dörfer werden wieder hübscher, verlassener und vor allem langsamer. Da Tina heute morgen mit heftigen Rückenschmerzen aufgewacht ist und im Moment in den Nächten sowieso nur halbherzig schläft, habe ich großmeisterlich angeordnet, für heute eine Pension zu suchen.  Diese Blöße hätte ich mir nie gegeben. Bin schließlich ein Kampfschwein. Allerdings ein ziemliches müdes und durch den unruhigen Halbschlaf dünnhäutiges. Außerdem wird es auch für mich einfach mal wieder Zeit in einem richtigen Bett zu schlafen. Allen Nachahmern sei geraten, Kuscheldefizite frühzeitig im Keim zu ersticken. Ansonsten besteht nämlich die Gefühlsgefahr, einen Kampfeinsatz irgendwie überstehen zu müssen, statt sich gemeinsam an einem Abenteuer zu erfreuen. Ich hatte im Vorfeld eine Ferienwohnung in Barnhausen herausgesucht. Aber Holländer kommen uns zuvor, die dort mit zwei Familien eingefallen sind. Also weiter ins nächste Dorf, das mit einer Pension und einem Gutshof aufwartet. Die Pension finden wir nicht und die Gutshofangestellten zeigen sich aufgrund einer Familienfeier nicht sonderlich interessiert an uns.   Abgesehen davon hätte ich da nicht bleiben wollen. Es roch nach mehr als hochpreisig und dazu spießig. In der Stimmung bin ich gerade so gar nicht.

In der nächsten Stadt stimmt dann aber auch gar nichts. Das dortige Hotel strahlt eine Kerkerstimmung aus und auch wenn es sicherlich für eine Nacht okay gewesen wäre, einen Ruhetag wollen wir beide dort nicht verbringen. Bleibt also nur noch eine kleine Pension, die von einer Mittsiebzigerin geführt wird, die scheinbar hauptsächlich damit beschäftigt ist, dem Mobiliar aus ihren Kindheitstagen beim Altern zuzusehen. Umso erschreckender ist auch die folgende von Tina ausgeführte Preisaufstellung. So eine Anhäufung an altersmuffigen Ausstattung für 54 Euro anzubieten – natürlich mit Frühstück, junge Frau -, das muss man sich auch erst mal trauen. Ich spüre schon beim ersten Blick auf das Haus sich kräuselnde Zehennägel, nur Christian zuliebe klingle ich. Als sie öffnet, würde ich am liebsten so tun, als hätten wir uns geirrt. So aber folge ich ihr über eine schmale, steile, Teppichbelegte Treppe ins Obergeschoss, wo über allem der Geruch von Mottenkugeln hängt. Gruselig. Nennt mich Prinzessin auf der Erbse – mir doch egal. Nicht mal für Geld würde ich hier übernachten. Mir ist inzwischen schon alles egal. Ich hätte auch diese Pension genommen, nur um mal wieder ein Bett für uns zu haben. Aber Tina will nicht bleiben und drängt darauf, den nächsten Campingplatz anzusteuern, der ganz sicher nicht meine erste Wahl ist. Das Campotel in Bad Rothenfelde. “Campotel”, das hört sich ja schon an wie Luxuscamping auf der an ein Luxushotel angrenzenden Wiese. Auch die Kartenbilder meines Navis sehen eher aus wie eine große Golfanlage, nicht wie ein Campingplatz. Aber gut, einer muss Chef sein und heute bin ich es nun einmal nicht. Also spure ich und rechne die letzten 15 Kilometer durch, die uns zum Glück nur noch bergab aus dem Teutoburger Wald ins Münsterland führen. Zumindest körperliche Höchstleistungen sind jetzt nicht mehr gefragt. Für mich sind diese 15 Kilometer die leichtesten des ganzes Tages. Ob pure Verzweiflung die Restkräfte mobilisiert oder mein Biorhythmus gerade die Sinuskurve hochklettert. Es radelt sich quasi wie von selbst.

Sieht aus wie ein Weg ins Nirgendwo – lässt sich aber dennoch prima fahren.

Und dann stehen wir plötzlich vor den Toren eines Campingplatzes, der Bettmar in meiner persönlichen Liste leider auf Platz 2 verdrängen wird. Denn das Campotel ist weder spießig noch teuer, noch ist es überhaupt ein Hotel. Dafür aber purer Campingluxus. Was erst mal einen Enttäuschungsschauer über meine sonnenverbrannten Handrücken jagt. Ich bin bereit, die goldene Kreditkarte zu zücken, nur um mal wieder in einem richtigen Bett schlafen zu dürfen. Und was sagt die fröhlich-freundliche Martina Kraft an der Rezeption: “Haben wir – sind aber alle belegt.” Ich drohe ihr, mich auf den Boden zu werfen und die Luft anzuhalten. Was sie mit einem lächelnden Schulterzucken und den Verweis, sie würden auch Eis verkaufen, pariert.

Superfreundliches und wahnsinnig gut gelauntes Personal, ein liebevoll und durchdachter eingerichteter Platz von Jemandem, der offensichtlich wirklich Ahnung von den Bedürfnissen der Camper hat. Das aus einem ehemaligen Waldkrankenhaus und anschließender Bereitstellungskaserne der Bundeswehr geformte Areal bietet alles, was unsere Herzen begehren. Eine tolle Campingwiese, superschöne sanitäre Anlagen und zu allem Überfluss auch noch ein tolles Restaurant mit leckerem Essen und fantastischer Bedienung.  Puh! Das sind dann doch mal ein bisschen sehr viel Superlative für meinen Geschmack. Darf ich freundlich an die drei Nachbarzelte mit den insgesamt neun Kindern zwischen vier und 13 Jahren erinnern, die von sich selber sagen, sie seien laut? Hm? Schon vergessen, dass in vier Toiletten das Wasser durchgehend lief, bzw. die Toiletten deswegen nicht zu nutzen waren? Ja darfst Du. Aber die Kinder haben nicht wirklich gestört und in den Damenklobereich setze ich eh nie einen Fuß. Bei den Männern war alles Bestens. Männer halt. Wir sind da viel ordentlicher. Als wir dann abends nach der wohltuenden Dusche beim Essen sitzen, kommen wir mit einem Holländer ins Gespräch, der uns den weiteren Verlauf unserer Reise sehr schmackhaft macht und in uns große Vorfreude auf die Niederlande weckt. Mit seinem rumänischen Hund, einer nicht funktionierenden EC-Karte und viel Lebenserfahrung versüßt er uns diesen doch sehr anstrengenden Tag und gibt uns viele praktische Tipps zu Zielen, die wir in den Niederlanden unbedingt ansteuern sollen. Viel mehr Ziele, als unsere Zeit herzugeben scheint. Der Holländer, mindestens 75, hat genau den Humor, der unseren deutschen Landsleuten so oft fehlt. Und dann der Akzent. Zum verlieben charmant. Und ja, die Service-Kräfte sind wirklich klasse. Vergessen zwei Mal hintereinander Christians Bestellung … Hat hier gerade jemand Nörgelliese gesagt?! Nörgelliese! Der junge Mann war erst seit einer Woche im Geschäft und hat sich vielfach entschuldigt. Außerdem ist die Vergesslichkeit im Laufe des Aufenthaltes irgendwie zum Running-Gag geworden. Unterm Strich werde ich nicht widersprechen. Im Gegenteil. Ein wunderbarer Platz. Dass ich gerade an diesem Tag mit dem linken Fuß aufgestanden bin, dafür können Vater (76), Mutter (75) und Kind (49) ja nichts. Dennoch. Die drei haben mich komplett aus der Fassung gebracht, als sie das Vorzelt ihres großen Karavans erst mit Teppich auslegen und anschließend unter Muttis jammerigen Vorwürfen erst den Kühlschrank mit Gefrierfach und anschließend die Wohnzimmergarnitur aus Plastik aus dem Transporter wuchten.

Windmühle Westhoyel im Natur- und Geopark Nördlicher Teutoburger Wald

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Tag 8 – von Rehburg-Loccum nach Porta Westfalica



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Tag 8 – von Rehburg-Loccum nach Porta Westfalica

Bedauerlicherweise können wir uns am folgenden Morgen nicht von der quirlig-herzlichen Birgit verabschieden. Vermutlich streift sie mit ihrer weißen Schäferhündin durch die Wiesen vom Erlengrund, diesem verzauberten Ort, irgendwo im Nirgendwo. Es geht gleich mit einer Steigung los, die mich spüren lässt, wie erschöpft ich bin. Meine Oberschenkel scheinen sich in den vergangenen sieben Tagen verdoppelt zu haben, sind krachhart und mit meinem Hintern könnte ich inzwischen vermutlich Nüsse knacken.

Pollenhagen und sein Tante-Emma-Lädchen wie aus der Vergangenheit – einmal hin, alles drin.

Die härteste Nuss des Tages allerdings, die hat Christian zu knacken. Weil mich mitten im Wald, etwa acht Kilometer von Bückeburg entfernt, eine gigantische Erschöpfungswelle überschwemmt (wir erinnern uns – ich trage den Titel Dramaqueen nicht zum Spaß! Wer das nachlesen möchte: sehr ausführlich unter www.millas-Blick.de beschrieben). Auf einem nach Harz und Wärme und Sommer riechenden Holzstamm sitzend, heule ich mir die Augen aus dem Kopf. Weltschmerz. Lebenskatastrophe. Sinnesverzweiflung. Von Allem in großen Portionen. Oh ja, ich weiß sehr genau, wie ich einen perfekten Vormittag ruinieren kann. Ganz im Ernst: Blauer Himmel, Sonne und nicht mal der Hauch einer zivilisatorischen Störung. Nur absolute und unbedingte Stille. Lediglich durchbrochen vom zarten Summen einer Biene. Oder dem kurzen Tschilpen eines sorglosen Vogels. Und da, aus heiterem Himmel, ist sie da die große Panik vor – sucht euch was aus, liebe Gemeinde der 40+. Ohne das blöde W Wort zu bemühen: Steckt nicht in jedem von uns immer mal wieder ein bisschen Weltschmerz? 

Doch dann erreichen wir Pollenhagen. Ein kleiner Ort im Nirgendwo, verschlafen, wo scheinbar nur noch die Alten und die ganz Alten leben. Wo Anneliese mit einer Kollegin (vielleicht ist es ihre Schwester, vielleicht ihre Schwägerin. Wir haben es leider nicht rausgefunden) den kleinen EDEKA mit freundlichstem Fleiß täglich aufschließt. Frische Brötchen, frischen Aufschnitt, frischen Käse, aber auch Dosen- oder Tütensuppen, Kosmetikartikel und Keramika verkauft. Das, was früher als Tante-Emma-Laden bezeichnet wurde. Wir kaufen Brötchen und Aufschnitt und Christian fragt, ob er einen Kaffe haben kann. Was dann passiert, wird uns noch bis Ende der Tour als die Episode “Anneliese” in Erinnerung bleiben: Besagte Verkäuferin / Ladenbetreiberin verschwindet mit einem fröhlichen Lächeln hinter der Fleischtheke und taucht viele Minuten später mit einem Becher Kaffee in der Hand auf. Frisch aufgebrüht. Bezahlt haben wir 1 Euro (in Worten einen). Und während Christian noch an der Fleischtheke wartet, komme ich mit Annelieses Kollegin ins Gespräch. Sie verkauft mir eine Schachtel PallMall ohne Zusätze, ich fühle mich bemüßigt zu betonen, dass die Kippen nicht für mich sind, weil ich nämlich vor 5 Kilo aufgehört habe zu rauchen, und sie erzählt mir mit einigem Stolz, dass sie nie geraucht und deswegen auch nie Gewichtsprobleme gehabt hat. Sie hat früher Konfektionsgröße 34 getragen und jetzt, mit Ende 50, tut sie es immer noch. Naja, so genau wollte ich es dann eigentlich doch nicht wissen.  

Warten auf den Kaffee zum Mitnehmen. Frisch aufgebrüht und trotzdem nur 1 €

Ich frage beim bezahlen, ob wir mit unseren Brötchen und dem Kaffee auf der kleinen Mauer vor dem EDEKA sitzen und frühstücken dürfen. Wir dürfen. Mit dem 1-€-Kaffee, zwei Brötchen für jeden mit Aufschnitt sitzen wir also auf der Mauer, auf der Lauer und fühlen uns ein bisschen wie im Kino: Heinz kommt in seinem dicken Mercedes aus den späten 90er Jahren und hält direkt vor dem Fenster neben dem EDEKA. Das Fenster öffnet sich, ein Mann jenseits der 80 guckt raus und dann wird erst mal ausgiebig gesprochen. Leider zu leise, um zu verstehen, worum es geht. Eine voluminöse Frau, von der wir nicht wissen, ob sie die Mutti oder die Omma von der etwa 4-Jährigen an ihrer Hand ist, stellt fest, dass der kleine blonde Fratz seine Trinkflasche hat fallen lassen. Die ist unters Auto gerollt. Keine 10 Zentimeter von der Beifahrertür entfernt. Wir sehen sie. Mutti (oder Omma, wer weiß es schon so genau) sieht es auch und handelt. Nein, sie kniet nicht nieder, um mit ausgestrecktem Arm die Flasche zu angeln. Nein. Sie steigt ein, fährt vor, steigt wieder aus, hebt die Trinkflasche auf, putzt den Schnuller an ihrer wallenden Hemdbluse ab, öffnet die hintere Tür, reicht dem Kind die Flasche, steigt vorne wieder ein und fährt. Ja. Genauso ist es gewesen, in Pollenhagen, Mittags gegen 13 Uhr.

Bei aller Fröhlichkeit und Abenteuerfreude: Tag für Tag um die 100 Kilo Gewicht nur Kraft seiner Beine von A nach B zu transportieren, ist nun mal kein Urlaub. Wir reden hier nicht ausschließlich von Tina, sondern noch von Fahrrad und Gepäck. Den haben mir übrigens viele Freunde und Bekannte gewünscht: Einen schönen, spannenden Urlaub. Nein, liebe Daheimbleiber und treue Blogleser. Eine Radtour wie diese ist kein Urlaub im klassischen Sinn, auch wenn sie viele klassische Elemente enthält. Sich Tag für Tag zu motivieren, seine körperliche Belastbarkeit auszutesten, wahlweise zu überschreiten, ist eine Grenzerfahrung, wie zumindest ich sie noch nicht in der Form erlebt habe. Ich bin versucht, es klein zu reden, fürchte allerdings Christians Tadel und gestehe deswegen: Die Tour ist arschanstrengend. Und ich rede an dieser Stelle nicht von den Naturgewalten wie Gegenwind, knallende Sonne, Steigungen, die mich an die Kotzschwelle bringen. Auch nicht die zum Teil unfassbar rücksichtslosen Autofahrer, die schlechten Radwege, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Nein, es ist das Alleinsein mit sich und seinen Gedanken, die Tango tanzen und sich nur schwer in Zaum halten lassen. Da können schon auch alte Geschichten von Verrat und Verlassenwerdens hochkommen, die Wut auf Freunde, die keine mehr sind, die Trauer über Verluste. Ja, es ist tatsächlich nicht nur spaßiger Luxus, so viel Zeit für sich selber und seine Gedanken und Erinnerungen zu haben. Was aber nicht bedeutet, dass ich bislang auch nur eine Minute / nur einen gefahrenen Kilometer bereue.


Der Frustanfall dauert eine knappe halbe Stunde – dann muss einfach Schluss sein, wir haben keine Taschentücher mehr übrig und auch das Klopapier wird knapp. Christian lenkt meine Gedanken auf einen Mistkäfer und es dauert ziemlich lange, bis ich begreife, worauf er hinauswill. Mit verquollenen Augen und dem wilden Wunsch, mich nicht von meinen Emotionen und Ängsten ernsthaft aus der Bahn werfen zu lassen, treten wir in die Pedale, erreichen nach 3:42 Stunden reiner Fahrzeit und 59,11 Kilometer den Campingplatz Weserbogen um 16.10 Uhr. Bauen unser Zelt auf, räumen es ein – und die zweite Erschöpfungswelle droht mich ohne Rücksicht auf Nachbarn in ihren Zelten und Wohnwagen zu ersäufen wie eine kleine Katze im Sack eines gefühlskalten Bauern. Es hilft nichts – außer aushalten. Und hoffen, dass der nächste Tag besser wird. Gute Nacht, böse Gedanken.
Ich denke, ohne es genau zu wissen, Tina erlebt gerade das Gleiche wie viele andere, die eine beschwerliche Pilgerreise wagen. Im Alltag verdrängen wir böse Gedanken und verstecken sie unter allerhand Beschäftigung. Um unsere eigenen Probleme nicht thematisieren zu müssen, stürzen wir uns manchmal leidenschaftlich auf die Probleme der Anderen. Das alles geht hier nicht. Beim Touren bin ich dazu gezwungen, mich mit mir selbst zu beschäftigen, denn Gespräche beim Fahren sind zumindest auf öffentlichen Straßen kaum möglich.

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Tag 7 – von Arnum nach Erlengrund



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Tag 7- von Arnum nach Rehburg-Loccum

Es scheint uns zu verfolgen: An einem Tag ist der Campingplatz hervorragend und am nächsten echt schwierig.
Anrum hat uns gezeigt, wie Camping scheinbar heutzutage verstanden wird, und wie wir es auf keinen Fall haben möchten. Wir haben viel gesprochen, sind uns einig: Dauercamper sind an sich in Ordnung. Aber eine maximale Gewinnausbeute an Grund und Boden wie es in Anrum betrieben wird, ist genauso schwachsinnig wie riesige Hotelkomplexe an der Mittelmeerküste. Sowohl die Umwelt als auch die Menschen verlieren an Ursprünglichkeit und werden einfach zu einer grauen Masse. Es ist irgendwie ein bisschen wie zu Hause, wo immer mehr gut betuchte, großstadtmüde Menschen Häuser kaufen und sich so in einer ruhigen Gegend mit netter Bevölkerung eine neue Heimat schaffen wollen. Aber es sind leider zu viele von diesen ich-hab-das-Geld-um-mir-zu-kaufen-was-ich-will-Menschen und diese verdrängen Stück für Stück die ursprüngliche, die nette Bevölkerung. Letztendlich wohnen die Geldsäcke dann doch wieder nur unter Ihresgleichen und sind wieder unglücklich. Für die, die weichen müssen, bleibt dann oft nur der Neuanfang. Bis dann die mit dem Geld wieder wie Heuschrecken über das neue Stückchen ruhige Gegend herfallen. Campingplätze, die jeden Quadratmeter Land vermarkten, verlieren irgendwann eben das Flair eines Campingplatzes und somit ihr Tagesgeschäft.
 Es ist sicherlich verklärend von den guten alten Zeiten zu sprechen. Aber ich bin quasi auf einem Campingplatz aufgewachsen. Ich erinnere mich absolut lebhaft an unser Sommerdomizil im Fürstental, am hessischen Edersee. Die Wiesen waren schräg und blieben schräg. Es wurden Birken gepflanzt, weil die schnell wachsen und entsprechend schnell Schatten spenden. Unsere Väter bauten Stege, von denen wir ins Wasser hüpften. Am Abend saßen wir unten am Ufer am Lagerfeuer. Niemand parkte sein Auto neben seinem eingebunkerten Wohnwagen, in den Vorzelten standen weder Kühlschränke noch Spülmaschinen oder gar Flachbildschirme. Wir holten für unsere Nachbarn mit Brötchen, spielten Volleyball oder veranstalteten Segel- und Surfregatten, paddelten über den See und wenn es regnete, lagen wir in unseren Zelten und lasen oder kniffelten mit unseren Eltern im Wohnwagen. Es war ein freundliches, fröhliches, offenes Miteinander. Ich fürchte allerdings, dass mein Kindheitsparadies inzwischen auch eine Menge von seiner Unschuld verloren haben könnte. Es wird vermutlich Zeit, das mal zu überprüfen.
Eine blöde Serie in meiner Planungswut sollte uns allerdings für diesen Tag wieder einmal zu einem fantastischen Campingplatz führen und dass, weil keiner von uns bereit war, noch einmal so eine Abzocknummer zu akzeptieren. Aber vorerst die Geschichte, die uns zur Geschichte geführt hat.

Laut und stressig gehts neben der vielbefahrenen Landstrasse zum nächsten Radweg.

Wir verschwinden morgens früh und wieder ohne Frühstück vom Campingplatz. Das Ziel der heutigen Etappe ist ein Campingplatz in Mardorf am Steinhuder Meer. Obwohl Niedersächsin, war selbst Tina noch nie dort, hat aber Freunde, die davon schwärmen. Also bin ich ein bisschen Co-aufgeregt ob der Aussicht auf einen tollen Campingplatz. 
Das Einzige, was ich nicht berechnet hatte, war der Vatertag. Klar, im Vorfeld wussten wir schon, dass es ein Feiertag ist und haben uns daher auch mit allen Nötigem eingedeckt, um diesen Tag zu überstehen. Aber: Vatertag heißt eben auch ein darauffolgender Brückentag. Selbstredend, dass dieser Tag gern als verlängertes Wochenende genutzt wird. Gerade bei Gelegenheits-Campern ist dies doch der erste offizielle Tag der Saison. Diesmal gibt es dann leider auch kein Frühstück beim Bäcker, sondern an der Tankstelle mit zwei noch warmen und wirklich ausgezeichneten Brötchen. Gut gestärkt, sehen wir uns bereit für die Durchfahrt von Hannover. Die ersten Traktoren mit trinkstarken und gut gelaunten Männern ziehen bereits in den ersten Minuten an uns vorbei, sind überraschenderweise kein bisschen nervig. Ich habe mich nur den ganzen Tag gefragt, unter welchen Umständen der Fahrer bestimmt wird. Was bringt diesen armen Kerl dazu, den ganzen Tag seine besoffenen Kumpel durch die Gegend zu kutschieren? Ich fürchte, die auserwählten Fahrer haben viele Leichen in ihren Kellern.

 

Hannover von seiner allerschändlichsten Seite

In Hannover weichen die zahlreichen Träckergespanne dann hauptsächlich Jugendgruppen mit Bollerwagen, die auch ohne Frage sehr lustig und kein bisschen aggressiv sind. Als wir auf den Leineradweg entlangfahren, spielt aus einem der soundtechnisch modifizierten Gefährte sogar ein uns gut bekanntes Salsa-Lied. Dispositio – ich LIEBE diesen Song. Und ein bisschen hatte ich gehofft, dass er unser Tour-Song wird. Ich fordere Christian zum tanzen auf und obwohl er sich für einen Moment geniert, hat er genauso viel Spaß wie ich. Ich wusste nicht, dass ich in Fahrradschuhen Salsa tanzen kann. Für unsere kleine Tanzeinlage ernten wir Beifall und Jubelrufe. Als wir durch Seelze fahren, kommt Tina auf die Idee, den in Hannover lebenden besten Freund ihres verstorbenen Vaters zu besuchen. Kurzentschlossen ruft sie bei ihm an und wir werden herzlich von ihm und seiner Frau eingeladen. Ein klitzekleiner Umweg, der mich zu zwei wunderbaren und unglaublich gastfreundlichen Menschen führt, die mir ohne Tina vorenthalten worden wären. Rolf und Edith kenne ich seit über 40 Jahren und auch wenn wir uns nur selten sehen – das letzte Mal auf der Beerdigung meines Vaters vor eineinhalb Jahren -, sind sie wichtige Menschen in meinem Leben. Nicht nur, weil sie quasi mit die engste Verbindung zu meinem Vater sind. ¨Oh, ihr seid mit dem Rad da, dann sage ich den Tisch beim Italiener wieder ab und wir kochen etwas!¨ Rolf ist kein Mensch großer Reden, er macht einfach und so werden wir nach einer kurzen Wohnungsführung köstlich mit Nudeln und, eine Neuheit für mich, gebratenem Fenchel bewirtet. Wir wären gern noch eine Weile geblieben und hätten sicher auch den ganzen Nachmittag verquatschen können. Aber leider sind es noch 30 Kilometer bis zum Steinhuder Meer. Daher müssen wir uns nach zwei Stunden und damit viel zu schnell verabschieden. Vielleicht hätten wir doch noch ein bisschen bleiben sollen, denn plötzlich hat sich der Wind gegen uns verschworen und bläst uns kräftig entgegen. Ein Omen auf das, was uns am Steinhuder Meer erwarten sollte?

Der auserwählte Platz liegt im Nordwesten des Sees und so schlägt das Navi eine Route über die östliche Küste vor. Es sind zwar wieder die altbekannten, wunderschönen, niedersächsischen Ortschaften, die da der nicht sonderlich hübschen Silhouette von Hannover einen Platz abringen, aber vom eigentlichen See haben wir nichts gesehen.   Das muss man erst mal stemmen: Zum Steinhuder Meer fahren, ohne einen Tropfen Wasser gesehen zu haben.) Als sich 12 Kilometer vor dem Campingplatz auch noch ein Wolkenbruch ankündigt, legen wir in weiser Voraussicht schon einmal die Regensachen an und sicheren die Packtaschen. Regen gibt es dann aber auch im Norden des Steinhuder Meeres nicht, genau wie wir auch weiterhin kein Wasser zu Gesicht bekommen sollten. Der nördliche Weg führt aber durch ein Moorgebiet, was nicht besser zur vom Wetter verströmenden Stimmung hätte passen können. Und so kommen wir dann um kurz nach 16:30 Uhr an dem Platz an, der uns einen nachhaltigen Eindruck von Wirtschaftscamping vermittelt. Von Außen macht er einen guten Eindruck, wir bekommen aber bereits an der Anmeldung unsere Abreibung, als man von uns den Unkostenbeitrag für drei Tage verlangt.  Nur mal so: Ein Zelt, zwei Personen, eine Nacht, sollte 51 – in Worten einundfünfzig Euro kosten! Hallo?!?! Gehts eigentlich noch? Zeltplätze werden dort nämlich über Himmelfahrt und Pfingsten nur für das gesamte Wochenende vergeben. Also entweder 3 Tage zahlen oder wieder abziehen. Als wir der mittelalten Rezeptionsdame erklären, dass uns das zu teuer ist, erwidert sie mit einer Mischung aus Hohn und Mitleid, dass wir es gerne wo anders probieren können, es aber überall genauso teuer ist und es überall so voll sein wird.

Nach dem Reinfall mit Anrum verlassen wir die Rezeption mit einiger Wut im Bauch. Im Übrigen: ¨voll¨ war dieser Campingplatz keineswegs. Gut gefüllt ja, aber voll auf keinen Fall. Wir sind beide bockig und suchen eine Alternative, die uns noch weitere 20 Kilometer kosten soll. Dazu müssen wir durch Mardorf, ein kleines touristisches Örtchen, in dem die Leute offensichtlich jeden zweiten Tag einen anderen Markt veranstalten. Heute ist der Dorf- und Bauernmarkt dran und so können wir wenigsten noch eine Waffel, einen Kaffee und ein paar Stück Kuchen ergattern. Und haben auch noch was Gutes getan: Der Erlös vom Kuchen ging komplett an die Konfirmandengruppe. Habe nix mit Kirche am Hut – aber solche Sachen unterstütze ich aus Nostalgiegründen gerne.So gestärkt, aber dennoch demotiviert geht es auf die heutige Schlussetappe nach Münchenhagen, einem Zeltplatz, der mit direktem Anschluss an das Dino-Land auch wieder nichts Gutes verheißt. In Gedanken male ich mir schon Kinderterrorgruppen aus, die einen mit einem überforderten Studenten ausgestopften Stoffdino drangsalierten. Aber Pech gehabt, denn erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Mitten im Tal gelegen, lag einer der großartigsten Campingplätze unserer bisherigen Tour. Pferde, Hunde, nette Camper und Birgit, die Herrin des Platzes heißen uns herzlich willkommen und ihr Mann Harry bekocht uns in seiner Kneipe ¨Harry`s Wild es Eck¨ wie bei Mutti. Aus der Raupe mit Namen ¨miese Erwartung¨ entpuppte sich ein wahrer Schmetterling mit Namen ¨Erlengrund¨. Ich weiß übrigens gar nicht, warum meine Tina immer schimpft, dass ich nichts von Romantik verstehe – kann ich doch! Zum Thema Romantik könnte an dieser Stelle vielleicht vorsichtig angemerkt werden, dass sie eben immer sehr unerwartet kommt. Und dann bin ich so überfordert… ok. Keine weiteren Beziehungsinterna. Was mein Herzensmann aber vergessen hat zu erwähnen: Vor der Belohnung hat der liebe Gott (oder wer auch immer) die Strapaze gesetzt. Und die waren in diesem speziellen Fall enorm und in Form böser Steigungen, und ich bin ein klitzekleines bisschen empört, hier kein Wort darüber zu lesen! Der Weg ins verwunschene Paradies war buchstäblich steil und steinig. Das sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt. Und wären die Duschen ein bisschen moderner gewesen, Erlengrund hätte Bettmar vorläufig vom ersten Platz verdrängt.

Mehr als zehn kleine Jägermeister – Kunstprojekt der fröhlichen Kümmerlingkonsumenten im Erlengrund

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Tag 5 – von Bettmar nach Arnum



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Tag 5 & 6- von Bettmar nach Arnum

Da ist also diese grobe Route, der wir folgen. Westen. Immer schön gen Westen. Aber auch wenn Christian schon vor dem Aufstehen mit Handy, Tab und Motorradkarte (!) hantiert, lautet die Regel: Immer fein flexibel bleiben. Immer mit Überraschungen rechnen. Immer brav entspannt bleiben. Weißt du doch beim aufstehen noch nicht, ob deine Beine heute so mitmachen, wie du es erwartest und die geplante Route es erfordert. Ob das Wetter mitspielt (tut es momentan noch vorbildlich). Also gibt’s nichts, auf das wir uns verlassen (können). Sicher ist nur: Vorm dunkel werden steht unsere Schlafstätte. Wo auch immer. Na ja, sagen wir mal vor Tinas Aufstehen, die beim Campen eine für sie ungewöhnliche Leidenschaft fürs Langschläfertum entwickelt. Ich habe morgens einfach oftmals noch 20 Minuten Zeit, um die Route des Tages zu planen. Und ja, es ist richtig. Ein festes Ziel gibt es abends selten. Die Tagesform ist eben ausschlaggebend und die lässt sich meistens nicht mal morgens genau bestimmen.
Die ursprüngliche Überlegung, doch ruhig auch mal wild-romantisch an einem kleinen Bach, auf einer Wiese oder gar im Wald zu zelten, erscheint mir inzwischen alles andere als verlockend. Dazu bin ich zu wild auf die Tages-Belohnung in Form einer heißen Dusche. Verschwitzt in den Schlafsack kriechen, nö. Können die anderen gerne tun. Ich möchte sauber und wohlriechend ins Land der Träume. Halten wir also fest: Forrest Gump hatte Recht – jeder Tag ist wie eine Schachtel Süßes. Jeder Campingplatz nur solange ein nichtssagender Name, bis man ihn betritt. Auf Platz 1 unserer zugegebenermaßen noch sehr kurzen Hitparade der Zeltplätze steht der Waldsee-Campingplatz in Bettmar. Von geradezu absurder Romantik mitten in der Feldmark, knapp 15 Kilometer von Braunschweig entfernt.
Ohne Anmeldung schlagen wir ziemlich erschlagen um 16.45 Uhr nach flotten 60 Kilometern da auf. Eine Rezeption entdecken wir erst mal nicht. Dafür kommt ein jungenhafter Endzwanziger auf uns zu. Wir halten ihn für den Sohn der Campingplatzbesitzer. Manuel Ziebeil ist tatsächlich der Sohn von Campingplatzbetreibern. Allerdings ist dieses idyllische Fleckchen von überschaubaren 65.000 Quadratmetern sein Eigen. Der gelernte Erzieher hatte nach sieben Jahren Lust nämlich Lust auf eine neue Herausforderung. Na klar, dann kauft man eben mal einen Campingplatz. Gibt tatsächlich blödere Ideen. Und wir sind ziemlich sicher: Manuel hat mit diesem Fleckchen Erde definitiv nicht den Zonk gezogen.
Der blonde Schlacks mit Baseballcap macht einen echt guten Job. Ist freundlich, zuvorkommend, hilfsbereit, absolut unkompliziert. Und mutig. Hat einen Kredit in Höhe eines Bungalows aufgenommen, um den Campingplatz seiner ehemaligen Besitzerin abzukaufen. Schuftet nebenbei noch als Grundstückspfleger und hofft, ab kommenden Jahr diesen Zweitjob an den Nagel hängen zu können. Gefragt, ob er über Bewirtung / Gastronomie nachdenkt, schüttelt er den Kopf. Kosten-Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Hat er ja bei seinen Eltern gesehen.

Der freundliche Manuel Zielbeil ist ein Campingplatz-Betreiber, wie man ihn sich nur wünschen kann.

Manuel überlässt uns die Wahl unseres Platzes und nach Umrundung des kleinen, Schilfbewachsenen Teichs entscheiden wir uns für die große Wiese, auf der lediglich zwei Graugänse ihrer Empörung Luft über unser Auftauchen machen. Schnatternd rennen sie in einiger Entfernung hin und her, hopsen dann in den Teich und schwimmen rüber zum pinkfarbenen Riesen-Flamingo, mit dem später und am folgenden Morgen die voluminöse Eigentümerin in der Nachmittagssonne über den Teich paddelt.
So dick war sie nun auch wieder nicht. Immerhin konnte man diesen filigranen, zwei Meter kleinen Gummivogel noch gut unter ihr erkennen.
Wir bauen unser Zelt neben einer alten Trauerweide auf, ich will eigentlich direkt eine Runde schwimmen. Christian behauptet, eine Bisam- oder eine Wasserratte gesehen zu haben. Außerdem ist er sicher, dass es auch Wasserschlangen gibt, von großen Fischen (Karpfen?) mal ganz abgesehen. Vielen Dank auch, dann mache ich jetzt halt das Abendessen.Na, also geht doch. Ich bleibe übrigens konsequent bei meinen Behauptungen, schließlich verhungere ich nicht nur Abends. Vielleicht hilft dieses mystische Gerücht um diverse Seeungeheuer ja auch Manuel, seinen Platz dauerhaft gut zu füllen. Zu wünschen wäre es ihm jedenfalls.
Blöderweise findet sich der Korkenzieher für unseren Lieblingsweißwein nicht. Da hilft nur beherztes rübergehen zu den Dauercampern, deren Boxerhündin mich freundlich anbellt, während ihr massiv übergewichtiges Herrchen sich nicht mal die Mühe macht, seine massige Wohlstandsbeleibung zu verhüllen. Ja, ja, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, aber ich frage mich ernsthaft, womit er seine Leibesfülle hätte verdecken sollen, so dass ihn seine Füße noch hätten tragen können. Fantastisch, Dickenwitze… Ich entschuldige mich höflich für die Störung und erkläre, wir würden uns gerne betrinken wollen, hätten aber keinen Korkenzieher. Der Dauercamper schaut betroffen, wuchtet sich aus seinem stabilen Stuhl und wankt in den Wohnwagen, kommt mit einem Schweizer Taschenmesser zurück (meins liegt in der heimischen Schublade, weil Christian es als überflüssigen Ballast beschimpfte) und reicht es mir. Gut, dass ich mal in ‘ner Kneipe gearbeitet habe. Der Mann einer schweigenden Schwarzhaarigen schaut sehr aufmerksam zu, wie ich die Flasche vom Korken befreie, merkt an entsprechender Stelle ein “jetzt kräftig ziehen” an. Merke: Gentleman sind schon im echten Leben rar gesät. Auf Campingplätzen sind sie quasi gar nicht zu finden.

Heute aus der Abteilung: Wie man Wein ohne Kühlschrank kühlt.

Nach dem Essen gibt’s noch den obligatorischen Kniffelmarathon und dann husch, husch ins Körbchen. Nachtruhe finde ich übrigens keine: Schon mal Kopf an Froschmaul geschlafen? Herzlichen Glückwunsch. Nichts, was ich meinem ärgsten Feind wünsche. Ein komplettes Sinfonieorchester liebestaumeliger verzauberter Prinzen beginnt sein Konzert gegen 21.30 Uhr und endet ziemlich genau 12 Stunden später. Zwischendurch schalten sich noch diverse Singvögel ein. Wundervoll. So schlecht habe ich selten nicht geschlafen. Für alle jene, die ebenfalls keine ausgewiesenen Ökolärmfans sind: Ohropax ist das einzig probate Mittel, wenn man denn unbedingt an einem Schilfumsäumten Teich zelten möchte.

Nach dem ersten Ruhetag der Tour geht’s am 9. Mai endlich weiter. Natürlich nicht ohne Panne. Auf dem Weg zur Dusche kommt die Dauercamperin mit dem hüfthohen Porzellanpudel vor dem Zelt aus ihrem kleinen Gartentor, in der Hand einen riesigen Sack mit Plastikmüll. Offensichtlich fährt sie auf Fertiggerichte ab und vermutlich qualmt sie wenigstens zwei Schachteln täglich. Die Königspudelinhaberin schwingt ihren kleinen knochigen Körper auf ihr Klapprad, schimpft dabei über den Staub, der durch die unbefestigten Wege so viel Schmutz macht, und fährt vor sich hin murrend die 20 Meter bis zum Müllcontainer. Ich schiele zum Wohnwagenfenster, wo gestern der große, flauschige, weiße Königspudelkopf mit den schwarzen Knopfaugen mit sehnsüchtiger Traurigkeit nach draußen zu schielen schien. Wir konnten bis zu unserer Abfahrt nicht klären, ob es sich tatsächlich um ein lebendiges Wesen handelt, um ein ehemaliges Lebewesen (jetzt ausgestopft) oder einfach nur ein riesiger Rummelgewinn war. 

Ich will vor Abfahrt noch duschen und Haare waschen und es passiert, was im Rückblick durchaus einen gewissen Witz zu haben mag: Mit eingeschäumten Haaren unter einer versiegenden Dusche zu stehen. Ja. Ich alter Sparfuchs drehe brav das Wasser ab, während ich mich und mein Haupthaar einseife. In der irrigen Annahme, Wasser zu sparen. Hab ich am Ende auch. Nur keine Zeit. Und wenn die abgelaufen ist – dann gibt’s auch kein Wasser mehr. Dank meines angelernten Pragmatismus erscheine ich doch noch ohne Schaumreste, dafür mit wehender Mähne zum Frühstück. Und deswegen heute aus der Abteilung kostenlose Ratschläge für Campingplatzduscher: Immer eine leere Wasserflasche dabei haben. Am besten die 1.5 Liter. Dann kann man im Notfall in die Spülküche eilen, warmes Wasser einfüllen, und sich in der Dusche vom restlichen Schaum befreien. (Ich habe übrigens vier mal Wasser nachgefüllt. Ins Handtuch gewickelt und gebetet, dass keiner kommt und blöde Fragen stellt). 

Keine Atempause – die weitere Route wird geplant.

Wir starten um 11.09 Uhr mit einem Umweg von circa 4 Kilometern, bis uns das Navi auf den rechten Weg zu unserem nächsten Ziel schickt. Bei Kilometer sechs, wir ruckeln mehr, als dass wir fahren, über sehr holperige Feldwege, lösen sich erneut die Schrauben meiner Lenkertasche. Und erneut löst Christian das Problem mit einem Fingerschnippen. Es ist schwül, was aber nicht weiter stört, weil wir wunderbaren und dabei konstanten Rückenwind haben. Es fliegt sich gerade so durch hinreißende kleine Fachwerkdörfer, von denen mindestens fünf in die engere Wahl kämen, wenn wir denn aufs Dorf ziehen würden wollten. Und dann erreichen wir nach eher durchschnittlichen 56,94 Kilometern um 17.15 Uhr unsere nächste Übernachtungsmöglichkeit. Arnum, in der Nähe von Hannover.

Wir sprachen ja bereits über Campen im Allgemeinen und unsere ganz persönliche Irritation ob der Menschen, die ihre Wohnwagen geradezu einmauern, im Besonderen. Ob mit Tom-Sawyer-artigen Bretterzäunen, mannshoch und blickdicht, oder durch Bambusmatten, Plastikplanen oder ökologisch vorbildlich durch diverse Anpflanzungen. Über die Freiflächeninventarisierung, die von Korbsesselensemblen über Kübelpflanzen und Carports für den zusätzlich mit Plane abgedeckten Mercedes, Audi oder SUV könnten wir einen Bildband rausbringen. Ohne sich in den Plattitüden der Vergangenheitsverglorifizerung zu verlieren: DAS hat in unseren Augen nichts mehr mit Campen zu tun. Wenn am Wochenende / im Urlaub unterm Strich alles wie zuhause ist …uns bleibt nur eins. Wir ziehen die Toleranzkarte, wenn auch mit einer gehörigen Portion Spott. Ja, es ist schräg, wie auf den Campingplätzen in Malge oder Niegripp oder auch in Bettmar der Ursprung des Campings ad absurdum geführt wird. Schräg und für uns nicht nachvollziehbar. Aber was uns an Tag  6 unserer Tour als Campingplatz verkauft wird, schlägt alles. Bemüht, die schönsten Übernachtungsplätze zu finden, entscheiden wir uns für den Seecampingplatz Arnum, zwischen Hildesheim und Hannover, auf den ersten Blick durchaus romantisch gelegen. 
Wir schlucken, als die auf beiden Oberarmen mit bunten Schmetterlingen und Tierpfotentatzen tätowierte Lady an der Anmeldung ein fröhliches “Ein Zelt, zwei Personen? Macht 20 Euro”, schmettert. Strom kostet noch mal 2 Euro, die kleine Maschine Wäsche waschen 4 Euro, der Trockner weitere 2,50 Euro. Und nein, in den 20 Euro Standgebühr ist das duschen selbstverständlich nicht enthalten. Wir dürfen uns in der Forellenbucht einen Platz aussuchen. Forellenbucht klingt idyllisch. Ist es auch. Theoretisch.

Praktisch ist es eine so unglaubliche Unverschämtheit, dass eine halbe Stunde lang Heringe (für nicht-Camper: Haken, um das Zelt im Boden zu verankern), Portemonnaies und Schuhe tief fliegen, eine Tüte Gummitiere in Rekordverdächtigen 73 Sekunden getötet werden. Gerne würden wir unserer Wut auch stimmlich Ausdruck verleihen. Verdammte gute Erziehung. So grummeln und zetern wir nur halblaut über den viel zu trockenen Boden, in den man nicht mal mit Hilfe eines Hammers die Heringe versenken könnte. Es ist wie es immer ist: Wenn Wut kein angemessenes Ventil findet, multipliziert sie sich. Unsere potenziert sich mit jedem Atemzug. Was also tun? An der Rezeption unter allerlautestem Protest den Zwergenaufstand proben? Mit schlechten Bewertungen drohen? Oder besser gleich abreisen? Natürlich bleiben wir, viel zu erschöpft, um weitere 40 Kilometer zum nächsten Campingplatz zu radeln. 

Schließlich finden wir ein Stück Wiese, natürlich ohne irgendwelche Schattenspendenden Bäume, auf der wir unser Zelt aufbauen. Um uns herum übrigens kein einziger Wohnwagen, sondern nur Häuser. Selbstverständlich eingemauert / eingezäunt. Inklusive Gartenzwergen, Blumenkübeln, albernen Lebensweisheiten auf Schildern. Wenn es je einen Ausdruck für Spießigkeit gegeben hat – hier auf dem Campingplatz, der in Wahrheit ein absurdes Sammelsurium von Ferienhäuser in größtmöglicher  Dichte ist, findet er zu seiner absoluten Vollendung.
Abgenervt, bockig und empört, steigert sich unser Gefühl, am falschen Ort zu sein und dafür auch noch abgezockt zu werden. Zum ersten Mal sind wir beide gleichermaßen frustriert. Und nicht nur frustriert. Ich bin richtig sauer. Was uns hier als “Campingplatz” verkauft wird, ist eine hochkomprimierte Wochenendhaussiedlung mit Uferstreifen, auf dem zum Zwecke eines (siehe oben – erheblichen) Zusatzeinkommens nun auch noch Plätze an Camper vermietet werden. Ausgedörrter, steinharter Boden, kein schattiges Plätzchen und Promenadenmobiliar, das schon im Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich habe im Laufe der letzten 4 Jahre so einige Campingplätze erlebt, aber keiner, nicht einmal in Serbien oder der Türkei, war schlechter. Wobei schlechter nicht ganz stimmt, aber auf keinem habe ich mich jemals so abgezockt gefühlt. Ich stelle mir wiederholt die Frage, ob die Campingplätze ein Spiegel unserer Gesellschaft sind in der jedes bisschen verwertbarer Boden zu barem Geld gemacht wird. Denn von einer Schuld der Campingplatzbetreiber zu reden ist natürlich Blödsinn. Es ist wohl eher eine Frage von Angebot und Nachfrage. Jeden Morgen steht ein Doofer auf, an den sich auch an einem Ententeich noch ein bisschen Urlaubsfeeling verkaufen lässt. Bei mir schleicht sich inzwischen schon wieder mein übliches Tourgefühl von plötzlicher Weltfremdheit ein. Was machen die Menschen nur?

Hohn und Spott zu diesem Platz wird es noch geben, aber im Moment muss ich das erst einmal sacken lassen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Zwei Dinge entschädigen uns wenigstens ein bisschen. Zum einen können wir beim Abendessen mit leidenschaftlicher Begeisterung über ein junges Paar lästern die mit ihrem schwarzen Mercedes aus Hannover gekommen sind, einen kleinen weißen Flauschhund dabei haben, genau wie Tisch und Stühle, High-Tec-Grill und Schlauchboot, ihre Luxusluftmatratzen mit elektrisch betriebener Luftpumpe zu voller Pracht bringen – und garantiert das erste und letzte Mal gezeltet haben. Zum anderen gibt es in der Spülküche zwei kleine Tische mit Bänken Drumherum. Unser Kniffelmarathonabend ist mückenfrei und gemütlich. Arnum aber wird – was immer noch kommen mag – den allerletzten Platz beim Campinplatzranking einnehmen.

So stellt man sich den optimalen Arbeitsplatz eines Autors vor? Stimmt. Ist er.

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Tag 4 – von Räbke nach Bettmar



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Tag 4 – von Räbke nach Bettmar

Meistens ist es gut, dass man beim Aufstehen nicht so genau weiß, was einen den ganzen Tag über erwartet. Manchmal aber auch doof. Insbesondere dann, wenn einem der Abend eine schöne Überraschung bereiten möchte und der Ausblick auf ein Ziel motivierend wäre.

Wir können uns heute erst um halb 11 vom Campingplatz in Räbke trennen. Drei anstrengende Tage stecken uns in den Knochen und da fällt der Start heute morgen schon etwas schleppend aus. Dennoch, unsere Abbau- und Packzeit wird täglich kürzer. Mein Kaffeedurst hingegen verlangt heute am vierten Tag nach zwei Wiederholungen. Keiner von uns ist sehr begeistert von unserem Nachtdomizil und so fahren wir ohne viel Zeit zu verschwenden unter Verzicht auf Frühstück vom Platz. Prinzipiell ist es leicht zu sagen, was einen guten Campingplatz für uns Reiseradler ausmacht: Eine gerade Wiese, gerne etwas schattig. Preis-Leistung sollten stimmen, d.h. um die 15 Euro für zwei Personen in einem Zelt. Saubere und funktionale (keimfreie, d.h. ohne Schimmel) sanitäre Einrichtungen und Sitzmöglichkeiten – Tisch mit Bank ist optimal zum kochen /essen. Wenn es dann noch Waschmaschine / Trockner und eine Spülküche gibt – großartig. Aber am Ende ist das eben doch nicht alles. Denn all dies (bis auf den Tisch) war in Räbke vorhanden. Warum wir uns trotzdem nicht wohlgefühlt haben? Die Atmosphäre hat nicht gestimmt. Eine Traurigkeit, eine Art Vergessenheit, das Gefühl von längst vergangenem Glanz und verloren gegangener Lebendigkeit lagen über dem durchaus gepflegten Platz, an dem der Müllplatz täglich zwischen 9 und 9.15 Uhr geöffnet hat.

Sonne und Wind sind weiterhin gute Freunde und so lassen wir uns durch eine hügelige Landschaft Richtung Königslutter am Ems treiben. Selbst die Autofahrer sind am heutigen Montag noch relativ entspannt und so finden wir auch schnell einen Bäcker, der uns mit belegten Brötchen und mich mit einem weiteren Kaffee versorgt. Klingt ereignislos? Ist es auch. Ach, was heißt schon ereignislos. Ja, wir wurden nicht von einer Polizeistreife angehalten und unter Verdacht, eine Bank überfallen zu haben vorübergehend festgenommen. Und es gab auch keinen Streit über die Anzahl der Kaffee-, bzw. Rauch- bzw. Zuckerpausen. Aber wir hatten viel Zeit, unseren Gedanken nachzuhängen. Und das, so viel kann ich verraten, ohne zu persönlich zu werden, ist schon echt ereignisreich.

Frühstück vor dem Supermarkt – im echten Leben nicht vorstellbar. Auf Reisen die Rettung.

So schön die niedersächsische Landschaft auch ist, sehr aufregend ist die Tour über die kleinen idyllischen Dörfer nicht. Lediglich die Kleinstädte bieten ein bisschen Aufregung. Zum Beispiel als uns in Königslutter ein Autofahrer beim Abbiegen an einer Kreuzung aufmerksam begutachtet, während er drei andere Reiseradler, die rechts von ihm die Kreuzzug überqueren wollen, fast überfährt. Ob es an uns liegt, dass der gute Mann unaufmerksam ist, weiß ich nicht. In jedem Fall ist es für alle Beteiligten eine Schrecksekunde. Außer für den Abbieger, er scheint von dem Trubel nichts mitbekommen zu haben.  Ha! Und diese Geschichte hat uns die Möglichkeit gegeben, endlich mal wieder lang und breit und lautstark und unflätig über Autofahrer im Allgemeinen und SUV-Fahrer im Besonderen zu führen. Hitzig zu führen, das möchte ich noch betonen.

Der Rest ist typischer Navigationsmist. Meine Karte ist für Städte nicht geeignet, die Ausschilderung von Radwegzielen oftmals schwierig, und mein Telefon, welches ich in den Städten zur Routenfindung benutze, bei dem Straßenlärm einfach viel zu leise.  Voll dankbarer Naivität verlasse ich mich ja auf meinen routinierten Routenfinder. Und verfluche mindestens einmal täglich die Motorradkarte, die zu ungenau ist und das Navi, das sadistische Freude einprogrammiert bekommen haben muss. Warum sonst führt es uns gerne mal durch die allerübelsten Wohngegenden? Und wenn ich übel sage, meine ich unfassbare Rama-Werbungs-Idylle, die von lächerlicher Truman-Show-Qualität ist. Aber ich steigere mich da schon wieder in was rein, was ja durchaus seine Berechtigung hat.

Welcher Weg führt jetzt zum Ziel? Am Ende sogar der Umweg.

In Braunschweig fragen wir uns schließlich nach einer Post durch, um uns endlich von diversem überflüssigem Gepäck zu trennen. Das geht besser als erwartet. Wir müssen zum Bahnhof und es klappt schnell und unkompliziert. Hier möchte ich eine persönliche Anmerkung an Tinas (Bundes)-Landsleute machen. Sie sind alle sehr freundlich und auch wenn kaum einer eine offene Neugier für uns entwickelt, scheinen sie durchaus interessiert an uns. Ach ja? Ich hatte nicht das Gefühl, dass uns überhaupt irgendjemand wahr genommen hat. Aber das Paket nach Hause schicken ist schon eine innerliche Ohrfeige: Zuhause hatte ich eine Packliste, die ich während des dreitägigen Packprozesses immer weiter zusammengestrichen habe. Ich war am Ende echt stolz auf das kleine Gepäck. Und nun hat sich rausgestellt, dass es immer noch zwei T-Shirts, eine Hose, drei Paar Strümpfe, ein Kleid (ich fahre nur im Kleid. Geh mir weg mit unvorteilhafter und teurer Funktionswäsche), eine dickere Windjacke, zwei Tupperdosen und einmal Feuchttücher zu viel sind.






Als wir Braunschweig fast sieben Gepäckkilo leichter verlassen, bin zumindest ich ziemlich beeindruckt von der Stadt, die wesentlich mehr Grün als Braun zu bieten hat. Komisch, ich habe immer gedacht, Braunschweig wäre eine graue Industriestadt. In Wahrheit ist sie durchaus hübsch und auch ein bisschen quirlig.

Wir fahren durchs Grüne weiter nach Vechelde, wo wir uns mit den Lebensmitteln für das Abendessen eindecken und beenden den sportlichen Teil unseres Tages in Bettmar, einem 1000 Seelendorf. Hier erwartet uns einer der besten Campingplätze der bisherigen Tour. Wir wählen einen wundervollen Platz direkt am See, der für die nächsten beiden Tage unser Heim sein wird. Klingt ereignislos? War es auch.

Kommt immer drauf an, welche Maßstäbe man ansetzt. Es war ein relativ entspannter, freundlicher und friedlicher Tag. Beinahe schon entspannend. Ich mochte ihn.

Couchen mit Blick auf den Waldsee – besser gehts nicht.

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Tag 3 – von Burg nach Räbke



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Tag 3- von Burg nach Räbke

An Tagen wie diesen würde man im normalen Leben sämtliche Stecker ziehen. Im Bett bleiben, sich selber bemitleiden, wahlweise mit Junkfood vollstopfen, um einen weiteren Grund zu haben, sich so richtig mies zu fühlen, auf die Hormone schimpfen oder das Wetter oder die Müllabfuhr und mit viel Selbstmitleid darauf warten, dass es endlich Zeit zum Schlafengehen ist. Geht nicht, wenn du auf Radtour mit dem Liebsten bist. Aber, soviel kann ich verraten, einem grundlosen, dafür gepflegten Wutanfall, dem ein ausgeprägter Tränensturzbach folgt, ist es schnuppe, ob du in deinen sicheren Vier Wänden bist oder nur eine dünne Zeltplane dich vor der Welt schützt.

Am dritten Morgen im Zelt sind die Rückenschmerzen kein bisschen besser, hat die Biologie vier Tage zu früh zugeschlagen und wüste Träume nicht gerade ihren Teil dazu beigetragen, fröhlich flötend aus dem Schlafsack zu krauchen. Der Blick auf den See und die Boote ist so was von urlaubsmäßig wie die Stimmung noch vor dem Quinoa-mit-Trockenfrüchten-an-Joghurt-Frühstück aus dem Ruder läuft. Statt alle Sachen laut Packliste wieder auf die vorderen und hinteren Satteltaschen zu verteilen, explodiere ich plötzlich und unter einer wenig damenhaften Schimpfwörterkanonade schüttele ich den Inhalt der beiden hinteren Packtaschen filmreif ins Vorzelt, um dann heulend vor Selbsthass an die breite Brust meines Brandungsfelsens zu sinken. Er diagnostiziert freundlich eine Panikattacke, die so überflüssig wie normal sei. Und dann ist es auch schon wieder überstanden. Denn: Wir haben ja alle Zeit der Welt, der Weg ist das Ziel, niemand zwingt uns.

Der 83-jährige Dauercamper Heinz ist voller ungläubiger Bewunderung, als er erfährt: Es geht nach Brügge.

Doch die Ruhe ist trügerisch, weil nur äußerlich. Das Gespräch mit dem mehr als rüstigen 83-jährigen Dauercamper übernimmt Christian, während ich den frisch geschorenen Vierbeinerkumpel von der Größe eines Igels bekuschele. Der fuchsfarbene Mischlingsrüde Teddy ist ein Genießer, sein Herrchen wünscht uns eine gute Weiterfahrt. Als wir den Zeltplatz um 10.30 Uhr verlassen, sitzen die vier üblichen Frühschoppler beim zweiten Bier, befindet sich mein Zucker schon wieder im Sturzflug und ich verkünde frustriert: “Das wird kein guter Tag.” Mein Optimistenmann antwortet: “Abwarten.” Und dann treten wir in die Pedale und diese Etappe wird nicht nur nicht gut, sondern richtig übel. Ab Kilometer 36 habe ich keine Lust mehr, als Kilometer 40 lasse ich das auch verlauten, wohl wissend, dass wir noch mal 40 fahren müssen, um unseren Campingplatz in Räbke, 12 Kilometer hinter Helmstedt zu erreichen.
Eigentlich ist es eine tolle Etappe. Wir fahren auf dem Elberadweg, entlang vom Mittellandkanal. Wieder jede Menge riesige Rapsfelder, viele schöne Wege durch Wälder, hübsche Dörfer, über Feldwege. Immer wieder gibt es kurzfristige Energieschübe, die mich Steigungen mühelos bewältigen lassen. Mit sehr lautem und energischen “Buuuhhhhh” macht ich einmal mehr deutlich, was ich von die Landschaft verschandelnden, Vögel mordenden und Menschen beeinträchtigenden Windkrafträdern halte. Nichts. Ihre rotierenden Blätter klingen genauso bedrohlich wie diese Stahlmonster aussehen, die da auf Wiesen stehen, ganze Dörfer einkreisen und in meinen Augen Gelddruckmaschinen für Hersteller und Betreiber sind, deren Nutzen für die Menschen aber überhaupt in keinem Verhältnis stehen. Hier sei kurz erwähnt, das Tina das Buch “Unter Leuten” von Juli Zeh sehr mag. Da geht es genau um diese Thematik. Aber für mich steht eines fest – Atomkraft will keiner, Öl und Kohlekraftwerke sind absolute Umweltschweine und statt Energie zu sparen, brauchen wir immer mehr davon. Schön sind die Windkraftparks nicht, da gebe ich Tina Recht und ja, der finanzielle Gedanke beim Errichten dieser Teile ist wesentlich größer als der ökologische, aber so lange wir keine besseren umsetzbaren Ideen haben, brauchen wir solche Dinger um unseren Energiehunger zu stillen. Übrigens sind die nicht aus Stahl, sondern aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Klugscheißer – machts auch nicht leichter.
Meine gedrückte Stimmung scheint sich zu übertragen. Wir witzeln nicht, wir reden überhaupt sehr wenig. Ich bin müde, erschöpft, lustlos. Es ist pure Schinderei. Spaßmacht was anderes. Trotzdem gibt es keinen Moment in dem ich denke: “Was tue ich hier eigentlich? Ich will nach Hause.” Ich hätte das Gegenteil erwartet und bin unter all dem erschöpften Frust dankbar, dass Aufgeben keine Option ist, die sich auch nur im Ansatz in meinen Gedanken einschleicht. Dieses Gefühl hält mich aufrecht. Auch wenn der Sonnenbrand auf meiner linken Wade brennt und meine Hände krebsrot sind. Auch als sich die Schrauben meiner Lenkertasche lösen und ich eine herrliche Schussfahrt mit knapp 40 Kmh abbremsen muss. Christian zückt sein Fahrtenmesser, lässt mich den grauen Futterstoff aufritzen und zieht die beiden Schrauben fest – und dann gibt’s zum Schutz noch nen Streifen Gaffa über die Schrauben. Weiter gehts.

Wir sind die gelebte Wiedervereinigung

Es gibt heute tatsächlich nur einen kurzen Moment des Stolzes auf die eigene Leistung: Als wir die Bundesländer wechseln und nicht mehr in Christians Heimat, sondern in meiner unterwegs sind. Die 83,02 km Tagesetappe sind meine bisherige Höchstleistung. Die Bewunderung der Campingplatzbetreiberin in Räbke und die ihrer holländischen Mutter erreicht mich nicht – ich bin zu platt. Wir stellen unser Zelt in Rekordzeit auf, Christian bastelt zwischen unseren Rädern eine Wäscheleine, funktioniert seine Spanngurte zu einer weitere Trockenvorrichtung zwischen den Bäumen um, während ich mich mit einigem Unbehagen, viel Überwindung und zusammen gebissenen Zähnen in den seit den 70er Jahren nicht mehr modernisierten sanitären Anlagen vom Straßenstaub befreie.

Christian lädt zum Essen bei Schnitzel-Fritz ein. Das einzige Lokal im Umkreis von 8 Kilometern, direkt am Freibad, neben dem Campingplatz. Die nette Bedienung, die vielleicht mal wieder zur Hennaflasche greifen sollte, um ihren Haaransatz nachzufärben, serviert mir zwei Löffel aufgewärmtes Tiefkühlgemüse an etwas grünen Salat und Pommes – lecker ist anders. Aber es macht satt. Und wir haben für 2 Euro für 24 Stunden Internet und können den Tatort gucken, der aber so langweilig ist wie wir müde sind. Also schlafen wir ein, ohne zu wissen, wer der Mörder war.
Mir wird erst im Nachhinein bewusst, was ich Tina da zugemutet habe, nur um ein Etappenziel zu erreichen. Ein weiterer Campingplatz wäre 12 Kilometer zuvor gewesen und viel weniger gemütlich hätte der auch nicht sein können. Aber hier kann der Leser gerade an einem Lern- und Kennenlernprozess teilhaben. Auch für mich waren die 83 Kilometer bei dieser Hitze kein Zuckerschlecken, aber eben nicht so energieraubend wie für Tina. Und hier sei gesagt, dass unsere Kräfteverhältnis auch ein anderes ist. Und das ist keine diplomatische Umschreibung für Mann – stark, Frau – schwach. Denn so stimmt das nicht. Tina macht Abends selten einen “fertigen” Eindruck. Im Gegenteil, sie ist oft noch energiegeladen, während es mich in den Schlafsack zieht. Es ist keine Frage der Gesamtkraft, sondern eher eine der Krafteinteilung. Und hier habe ich einfach ihre Einteilung missachtet. Was geht und was eben nicht, ist letztendlich etwas, was man durch Grenzerfahrungen ausloten muss. Wer als Paar also ein ähnlich angelegtes Ziel hat, sollte sich darüber im Klaren sein, dass solche Dinge eindeutig kommuniziert werden sollten. Wir haben darüber gesprochen und gemeinsam beschlossen, die zukünftigen Ziele gerade im Hinblick auf die unklaren Strecken- und Wetterverhältnisse kürzer zu gestalten. Und auch allen anderen kann ich nur raten: Sagt Bescheid, wenn etwas zu viel wird oder auch zu wenig ist.
Trotzdem war es eine großartige Leistung!

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Tag 2 – von Brandenburg an der Havel nach Burg



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Tag 2- Brandenburg (Havel) nach Burg

Die erste Nacht, der erste Morgen – die Hölle. Die dämliche Therma-Rest zu schmal, zu hart. Der Mumienschlafsack zu beengend. Das doofe Kissen hat Null Kuschelfaktor und ich habe keine Ahnung, wie ich aus meinem orangefarbenen Kokon kriechen soll, ohne dass Christian den Notarzt alarmiert, weil sein Weib vor Schmerzen so ächzt und stöhnt, als sei ihr Ende gekommen. Der Gedanke, nach dem Schlafsack irgendwie auch noch mit wenigstens einem Hauch Würde aus dem Zelt krabbeln zu müssen, macht mich so mürbe, dass ich liegen bleibe. Das verliebte Entenpärchen schnattert sich und mich seit halb fünf mit Liebesgesäusel voll, das Wasser plätschert mit empörender Fröhlichkeit auf unseren kleinen Privatstrand und die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel und beglückt Christian, der schon Kaffee gekocht und die heutige Route geplant hat, während ich noch überlege, ob ich ihn bitte, mich von meinem Leid zu erlösen und einfach zu erschießen. Um halb zehn quäle ich mich dann doch aus Schlafsack und Zelt, versuche irgendwie ohne umzufallen in die Schuhe zu kommen und wanke zur Bank mit Tisch inklusive Ausblick auf sanft schaukelnde Boote hinterm Schilf. Christian ist in seinem Element, der junge Hund. Seine Schmerzen halten sich in Grenzen, ehrlich gesagt, ich vermute, er hat gar keine. Sagt nur aus purer Solidarität, sein Rücken täte ihm weh. Seine tröstenden Sätze “Die ersten drei Nächte ist es schwierig. Der Körper muss sich erst mal an die Anstrengungen gewöhnen. Ich habe nie besser geschlafen als auf Tour.” rauschen an mir vorbei. Ich glaube sie ihm nicht und hoffe gleichzeitig, dass es genauso sein wird.

Campingplatzidylle mit freiem Blick auf den See

Zu den Schmerzen, die bis in beide Beine ziehen, kommt die grenzenlose Empörung, dass uns der als romantische “Waschbärenbucht” angepriesene Zeltplatz nicht einen einzigen gestreiften Gesellen zu bieten hatte. Statt gefräßigen Waschbären tummelten sich vereinzelt Mücken, ein Paar Enten und der eine oder andere von Frühlingsgefühlen gebeutelte Vogel.

Mit der eingeschweißten Zugangskarte vom Seecamp Malge (zwei gemalte Seerosen plus die überklebten Öffnungszeiten) schlurfe ich in grauer Jogginghose, blauem Irland-Hoodie und selbst gestrickten Socken in meinen Badelatschen zum Waschhaus. Das übrigens groß und sauber ist.  Und leider über blitzblanke Spiegel in perfekter Höhe verfügt. Merke: Nach der ersten Nacht im Zelt NIEMALS in den Spiegel gucken. Der Schock ist groß, kann schlimmstenfalls zu Wut- oder Verzweiflungsausbrüchen führen und einem den kompletten Tag vermiesen. Ich erstarre für Sekunden: Ich sehe noch älter aus, als ich mich sowieso fühle. Und kein Make-up dabei, um wenigstens äußerlich zu kaschieren, dass ich ein Wrack bin. Willkommen zweiter Reisetag. Ich bin bereit.

Ihnen sehen wir sonst immer nur von der Autobahn aus: Den Elbe-Kanal, hier bei Magdeburg

Nach mit Trockenfrüchten angereichertem Quinoa an Naturjoghurt geht’s mindestens eine Stunde später als geplant los. Die Packtaschen sind perfekt austariert, die schon im vergangenen Jahr gekauften Strohhüte sitzen, meine Sonnenbrille ist stylisch und praktisch (seltene Kombi, deswegen so erwähnenswert) und für einige wenige Kilometer geht’s an Gleisen entlang. Wir biegen in einen kleinen Wald – in Klammern: ROMANTISCH – der Weg lässt sich prima fahren und als wir an einem Anglerheim vorbeikommen, vor dem jede Menge fesche Kerle in grünen Gummistiefeln und sexy Gummihosen das erste Bier des Tages zischen (ist schließlich auch schon halb zwölf), passieren wir gleich darauf einen winzigen Bootsverleih, den Christian ignoriert und mir den Atem stocken lässt. Ich steige ab und mache ein Foto, um später sicher sein zu können, nicht mit offenen Augen geträumt zu haben. 

Als vom Dorf stammende Niedersächsin bin ich Kummer gewöhnt und zu dem wenigen, was mir tatsächlich Angst macht, gehören überall im Haus verteilte Stoff- wahlweise Seidenblumen und _ Gartenzwerge. Ich möchte niemanden zu nahetreten oder gar verurteilen. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, jeder nach seiner Facon etc etc etc. Aber bei aller Toleranz: Gartenzwerge gehen gar nicht. Sie sind der pure Grusel. Und dem war ich an diesem Morgen vollkommen unvorbereitet ausgesetzt. Er überkam mich mit einer solchen Heftigkeit, dass ich stoppte und wie in Trance das Handy aus der Lenkertasche kramte, ungläubige auf den Auslöser drückte und dann ganz schnell weiterfuhr.

Ein Bootsverleih der anderen, der wirklich sehr beunruhigenden Art

Das Bild der dicht an dicht gedrängt, auf drei Fensterbrettern stehenden Gartenzwergen jeglicher Größe und Couleur, hat sich mir in all seiner unglaublichen Scheußlichkeit eingebrannt. Diese winzigen Fieslinge mit ihren dämlichen Zipfelmützen und roten Wangen und langen Bärten stehen und liegen und hangeln sich im Garten, vor, am und auf dem Zaun, im Rasen, unterm Strauch. Und mittendrin schaut Schneewittchen, den roten Apfel in der Hand, mit nach oben verdrehten Augen verzweifelt (?) gen Himmel. Das “huhu” der Eulen rechts neben ihr meinte ich genauso deutlich zu hören wie das alberne Gekicher und sinnlose Gequassel der einfältigen Gnome, die mit ihrem grenzdebilen Grinsen vermutlich nur harmlose Fröhlichkeit ausstrahlen sollen. Mir machen sie Angst. Immer noch. Immer wieder.
Oh, Gott, mein Weib, der Gartenzwerk-Monk. Ich bin mir nicht sicher, ob wir da nicht mal lieber einen Therapeuten ran lassen sollten… Klingt nach einem echten Trauma. Liebe Gartenzwerkfreunde, lasst Euch bitte nicht verunsichern. Tina hat außer SUV-Fahrern und Müttern mit Kinderwagen kaum ein Feindbild – sie braucht Euch!!!

Weil wir ja ganz am Anfang unserer Tour sind, haben wir natürlich noch nicht sämtliche Spielregeln festgelegt. An diesem zweiten Reisetag einigen wir uns allerdings ohne Diskussion darauf, keine Möglichkeit auszulassen, um zu spotten, zu lästern oder uns lustig zu machen, wenn es um rücksichtslose Autofahrer und um Ortsnamen geht. Sind “Hörsingen” oder “Langeleben” nicht geradezu prädestiniert, um unsere sarkastischen Teufel aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken? Auch Kirchmöser ist ein großartiges Beispiel, um es als fantasievoller Zyniker mit brachialer Freude Kübelweise in Spott und Hohn zu ersäufen. Aber, blöd gelaufen. Denn so fürchterlich der Name, so absolut be- und verzaubernd ist dieses Örtchen, das die perfekte Kulisse für einen Film aus den 1920er Jahren sein könnte. Während ich meiner endlosen Verzückung lautstark Ausdruck verleihe, hat der Herr der Route leider, leider, leider kein Auge für die Schönheiten der Architektur, die liebevollen, sehr gepflegten Backsteinbauten mit ihren entzückenden Vorgärten, in denen der Flieder in weißer, dunkellila und fliederfarbener Prachtblüte seinen Duft verströmt. Immerhin hat er sich zu der Aussage hinreißen lassen, dass Kirchmöser ja nicht morgen von der Landkarte verschwindet, wir also jederzeit noch mal in Ruhe vorbeischauen können. Obacht! Können – Konjunktiv. Dabei meine ich das wirklich ernst. Auch wenn wir wenig später in ein Szenario aus “nach dem Atomkrieg” geschleudert werden, sieht mittelfristig nichts danach aus. Kirchmöser ist seit ca. 5000 Jahren so wie es ist, daran wird sich auch die nächsten Jahrtausende nichts ändern.

Durch malerische Örtchen, meist über als unbefestigt geltende Landwirtschaftswege fährt es sich ganz wundervoll hoch und runter, vorbei an knallgelben Rapsfeldern, giftgrünen Wiesen, durch Märchenwälder und dann widerspricht das Navi der Karte und wir schieben in praller Mittagshitze einen fiesen Schotterweg hoch. Keine 50 Meter, aber trotzdem ätzend. Immerhin werden wir mit einem herrlichen Panoramablick in leuchtend Gelb und sattem Grün belohnt und blicken auf das Fachwerkhäuserreiche XY runter, durch das wir vor wenigen Minuten gekurvt sind. Wir überqueren eine Brücke mit taubenblauem Geländer. Unter uns eine Bundesstraße, die ziemlich neu und ziemlich ungenutzt wirkt. Minutenlang kein einziges Auto. Es ist surreal, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt. Sag ich ja – “nach dem Atomkrieg”-Szenario. Im nächsten Dörfchen ein Storchennest mit zwei Bewohnern. Ich habe noch nie Störche aus dieser kurzen Entfernung gesehen und bleibe stehen, fotografiere. Christian verspricht, wir werden noch viele Nester und noch viele Storchenpaare sehen. Haben wir dann aber nicht. Obwohl ich nix mit der Kirche als Institution am Hut habe – diese kleinen Steinkirchen, die wir vielerorts sehen, finde ich großartig. Können Natursteine Ruhe und Friedlichkeit ausstrahlen? Vermutlich nicht – pure Projektion, wahrscheinlich Wunschdenken. Trotzdem herrlich. Persönliche Anmerkung des Mitreisenden -hat sich eigentlich schon mal jemand über das Wörtchen “herrlich” Gedanken gemacht? Welch vorzüglicher Wortstamm!

Wir steuern den Elbe-Radweg an, fahren parallel zu ihm, müssen alle 10 Kilometer kurz stoppen, damit ich meinen Zuckerspiegel leistungsaktiv halten kann. Am Ende der ersten zwei Tage habe ich 22 Müsli-Riegel Schokolade-Bananengeschmack und 8 mit Joghurt-Kirsch-Geschmack in mich reingestopft und kann das Zeug nicht mehr sehen.Ich hatte 30 mit Haselnussgeschmack und jammere kein bisschen. Und dann, nach 75,66 Kilometern – die letzten zwei am Kanal, durch einen schmalen Waldstreifen entlang – haben wir unser Ziel für diesen Tag erreicht: Der Campingplatz Niegripp bei Burg. Der junge, rothaarige Campingchef ist beeindruckt von unserer Etappe, rät uns zu einen tollen Platz mit Blick auf den See. Keine zehn Meter sind es zum niegelnagelneuen, wirklich luxuriösen Waschhaus und einer rustikalen, überdachten Holz-Sitz-Bank-Kombi. Das Zelt steht noch nicht, da sind wir schon von den ersten vier freundlichen Hunden und ihren Leinenhaltern begrüßt worden.

Zum Abendbrot kochen wir 250 gr Nudeln, von denen mir beim Wasser abgießen die Hälfte in den Rasen fällt. Wenigstens direkt neben dem Mülleimer. Was mir übrigens ein großer Spaß ist, da ich Tina kurz vor dem Unglück von meinem Unglück auf der letzten Tour erzählt habe, bei dem mir ungefähr 250 gr Nudeln in den Dreck gefallen sind. Wir stoßen mit Pinot Grigio aus der Flasche und einem Alster an, spielen Dank der Stirnlampe bis kurz vor 23 Uhr unsere einstündige Partie Mega-Kniffelig (ich verliere mit unfassbar schlechten 4776 zu 5552 Punkten) und dann ist der zweite Tourtag vorbei.

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Tag 1 – von Potsdam Babelsberg nach Brandenburg an der Havel



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Tag 1- von Potsdam nach Brandenburg (Havel)

Nun sitze ich hier und bin das erste Mal richtig bockig. Die Tastatur will nicht so, wie ich es gern hätte, unsere Stromsituation ist arg angespannt, der blöde Wind nervt und Kaffee hatte ich auch erst einen. Also gut, wenigsten beim Kaffee kann ich Abhilfe schaffen. Warum ich heute einen Nervtag habe, keiner kann es sagen. Denn die letzten Tage waren wirklich gut. Aber vielleicht sollte ich erst einmal von Anfang an erzählen, um mir der schönen Erlebnisse der letzten Tage bewusst zu werden und zu hoffen, dass diese die heutige Laune ein wenig steigern.

Geplante Strecke:
Geplante Kilometer:
Realkilometer:
Geplante Fahrzeit:
Reale Fahrzeit:
reine Fahrzeit:

Von Potsdam nach Brandenburg an der Havel
54 km
56,2 km
ca. 4 Gesamtstunden
5:32 Stunden
3:24 Stunden

Ein Freund meinte nach meiner 2014er Tour einmal, dass ich zu sehr durchgehetzt bin. Ich wäre zu viele Kilometer in zu kurzer Zeit gefahren und er hätte sich etwas detailiertere Berichte und vielleicht ein paar Fotos mehr gewünscht. Damals war ich ein bisschen angesäuert und hab mir nur gedacht, dann fahr halt selbst, wenn du mehr sehen möchtest. Aber in Wahrheit hatte ich spätestens in Bulgarien einen tierischen Overflow an Informationen und vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn ich mir ein bisschen mehr Zeit gelassen hätte. Was man allerdings an den obrigen Fahrdaten ganz gut erkennen kann, ist, dass es mit Tina keine Hochleistungsfahrerei mehr geben wird. Nicht weil sie langsamer als ich fährt, sondern weil sie einen wesentlich detaillierteren Blick auf die Dinge hat. Kann sein, dass es ihre journalistische Ausbildung ist, aber wahrscheinlich ist das einfach nur der bessere Blick für die Schönheit der Umgebung. Und so sind wir uns am Ende des dritten Fahrtages einig darüber, die Etappen ruhig etwas kürzer zu planen, denn wir haben ja Zeit.
Manchmal dauert es aber etwas, bis man sich dieser Tatsache, Zeit zu haben, bewusst wird. Bis man verstanden hat, dass es jetzt nicht mehr notwendig ist, sich dem täglichen Gehetze zu unterwerfen. Auch wenn der erste Fahrtag hier keine abrupte Wendung im Leben bringt: Er zeigt auch dem Nichtreisenden sehr schön, wie extrem der Wandel zwischen den Welten sein kann.
Denn als wir um halb acht aufgestanden sind, ist in Wahrheit gar nichts mehr zu tun. Da der geplante Start bereits am Vortag war, wir jedoch irgendwann mittags merkten, dass wir es einfach nicht schaffen würden, können wir uns am Nachmittag in Ruhe auf noch alle offenen Dinge stürzen. Für den Morgen stehen also nur noch Spülen und Staubsaugen auf dem Plan, dann sollte es schon losgehen. Das bedeutet für mich: Mehr als genug Zeit, um endlich die Route zu planen, die gestern noch eilig geleerte Weinflasche zum Glaskontainer zu bringen, einen Rechner von Schadsoftware zu befreien und noch einmal einen Großeinkauf in der Apotheke zu machen. Kurz: Ich hab alles Mögliche gemacht, nur gestartet sind wir nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich irgendwie manchmal nicht so richtig in die Gänge komme.
Aber so ein erster Tag ist eben auch nicht ganz leicht. Denn einerseits ist man eigentlich schon auf dem Weg, anderseits ist man eben noch zu Hause. Die Trennung der Welten wird einem kaum zu einem anderen Augenblick bewusster. Stellte man sich jetzt einfach tot, bliebe alles beim Alten. Legt man los, ist das zwar keine unwiderrufbare Entscheidung, aber zumindest ein klares Bekenntnis zur Veränderung. Die sprichwörtliche blaue oder rote Pille der Matrix. (Ich hoffe inbrünstig, dass Tina sich hier einschaltet und den Rang der Dramaqueen für sich beansprucht. Denke ich nicht im Traum dran. Ich hab mein eigenes Drama. Und du machst da einen sehr guten Job.)

So schön kann Pause sein

So schön es sich an dieser Stelle philosophischen Gedanken verlieren lässt, hier gehts jetzt erst mal um unsere Tour. Ich möchte gerne betonen: Unserer ersten gemeinsamen, mehr als 14 Monate immer wieder zum Thema gemachten Tour. Nun denn:

Wir starten exakt um 11:11 Uhr in Potsdam und kommen ebenso exakt 5 Kilometer weit. Da läuft uns nämlich ein Paar Niederländer über den Weg, die einen Teil des Europaradweges R1 von Helmstedt nach Berlin innerhalb von fünf Tagen zurückgelegt haben. Ich bin diese Tour im letzten Jahr einmal gefahren und kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Stückchen Harz echt nicht ohne ist. Jedenfalls haben wir hier unsere erste Pause gemacht und ein bisschen mit ihnen über Herkunft und Weg geplaudert. Grossartiger Start für unsere Tour. Angeblich sind ja Reiseradler ein besonderes Völkchen und Christian hat von so vielen netten Begegnungen geschwärmt. Und was diese kleine Frau mit den kurzen blonden Strubbelhaaren und ihrem bärigen Begleiter mit grau melierter Wuschelmähne in mir ausgelöst haben, ist pure Freude. Vor allem als sie betonen, dass sie uns gerne zu sich einladen würden, wenn wir denn bei ihnen vorbei kommen. Da einer von ihnen ein Problem mit dem Rad hatte, haben wir sie auch gleich zu unserem Lieblingsraddealer Steffen umgeleitet. Der hat zwar gerade echt viel zu tun, aber wir sind uns trotzdem sicher, unsere neuen Bekannten in die besten Hände gegeben zu haben. Für uns ist es auf jeden Fall eine tolle Erfahrung so kurz nach dem Tourstart eine so nette Bekanntschaft machen zu dürfen. Kurz nachdem wir Potsdam verlassen haben, auf dem Waldweg entlang der Havel, dürfen wir Zuckerbedingt die nächste Pause einlegen. Praktisch. So können wir uns auch gleich von einem halben Kilo Gepäck in Form von Stullen trennen. Manchmal kann das Leben eben schön leicht sein. Tina empfindet das mit dem Essen ja immer als ein bisschen schwierig, ich für meinen Teil mag Essen. (Ich liebe Essen ebenfalls. Aber es wäre schon schön, wenn ich mich nicht Stück für Stück in ein Walross verwandeln müsste, nur weil meine Zuckerwerte bei körperlicher Anstrengung abstürzen. Essen müssen ist jedenfalls kein Geschenk. Darüber zu jammern, dessen bin ich mir durchaus sehr bewusst, natürlich ein Luxusproblem. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich könnte den ganzen Tag essen und tue ich auch oft.)

Im Vordergrund die falsche Essensentscheidung: 16 Euro für adlige Kartoffeln an pappigem Spargel

Also machen wir mal einen Teilstrich: 10 Kilometer und 2 Pausen, macht noch 9 Pausen bis Brandenburg. Ich find das sowieso keine blöde Idee, die Strecke in Pausen zu messen. Nimmt völlig den Druck aus der Sache und ist runterrechenbar. Beispiel gefällig? Am heutigen Ruhetag sind es noch 630 Kilometer bis Brügge oder eben 126 Pausen. Entscheide jeder selbst, was sich für ihn am Besten anhört.

Tatsächlich verringern sich die Anzahl der Pausen aber auf den weiteren Kilometern erheblich, was meinem Bedürfnis nach Zigaretten nun auch wieder nicht sonderlich zuträglich ist. (Hole ich es halt auf dem Campingplatz nach…)

Werder durchqueren wir dann auch in einem Stück. Ab hier macht es keinen richtigen Spaß mehr, denn die Route führt uns nur noch an der B1 entlang. Landschaft, Dorf, Landschaft, Dorf, Landschaft, Dorf – Kaffee im Wuster Einkaufszentrum. Und dann auf zum Endspurt. Von Wust aus führt der Radweg beidseitig der B1 und die ist an diesem Freitagnachmittag unglaublich befahren. Ich entscheide, die Straßenseite nicht zu wechseln und lasse Tina entgegen der Fahrtrichtung (legal – weil ausgeschildert) Richtung Brandenburg fahren. Ich fahre meist vor, weil Christian mich im Blick behalten will. Ein fast  (wieso nur fast?!)  fataler Entschluss, denn kurz vor der rettenden Ampel kommt noch einmal eine ziemlich enge und extrem schlecht einsehbare Stelle, die kaum breit genug für das Reiserad ist. Wenn hier auch noch Gegenverkehr kommt, wird das ein ziemliches Herumrangieren, um keinen der Beteidigten auf die Straße zu zwingen. Natürlich kommt, was kommen muss: radelnder Gegenverkehr und das auch noch in Form eines Mannes, der sein Fahrrad scheinbar nur zum Bierholen benutzt. Nicht jedoch ohne sich vorher ein bisschen Mut anzutrinken. Nur durch Tinas beherztes Bremsen  (danke für die Blumen. Die Wahrheit ist: Ich hab gebremst, den Lenker rumgerisssen und bin beinahe mit der Hauswand kollidiert, weil mein Instinkt mich zwar gewarnt hatte, ich aber viel zu konzentriert war, um auf ihn zu hören.) und sein beherztes auf die Straße holpern, ist nichts Schlimmes passiert. Die paar wüsten Pöbeleien Seitens des Herrn sind zu verkraften. Pures Glück, dass hier nicht mehr passiert ist. Zumal Tina wirklich extrem vorsichtig gefahren ist. Obwohl sie im Stadtverkehr manchmal echt zügig unterwegs ist, ist sie, sobald Gepäck am Rad hängt, echt ein vorsichtiger und besonnener Verkehrsteilnehmer.  (Nun packen wir den Honigtopf mal wieder ein. Ich fahre IMMER besonnen. Nur eben ohne Gepäck zügiger als mit).  Der Schreck steckt mir dann wahrscheinlich auch tiefer in den Knochen als ihr und so drängt sie auf eine rasche Weiterfahrt. Herzrasen, Adrenalinschübe – kennt man ja. Am besten ignoriert man beides, weil es eh nichts ändert. Kurzer Dankgedanke ans Universum und die fleißigen Schutzengel, dann gehts weiter. Ist ja glücklicherweise nix passiert.

Wir fahren als letzte Zwischenetappe den örtlichen Aldi an und decken uns mit Lebensmitteln für ein vorzügliches Abendessen ein, zudem es dann aber nie kommen soll. Die letzten 7 Kilometer sind dann auch fast ein Träumchen, geht es doch nun fast ausschließlich über einen schönen Radweg quer durch den Wald unserem ersten Etappenziel dem Campingplatz Malge in Brandenburg entgegen.

Der erwies sich als sehr ruhig, mit einigen Dauercamperstellplätzen, die mich auch nach jahrelanger Campingplatzerfahrung immer wieder ein bisschen verwundern. Mir mangelt es einfach an Verständnis für Schrebergärten, die um einen Wohnwagen herum gebaut werden. Zumal der Erfindungsreichtum der Camper beeindruckend ist, was Abgrenzungen von den anderen Campern angeht. Von meterhohen Zäunen bis zu Wintergärten, die alles andere als mobil sind, ist hier alles dabei. Auch heute beim vierten Campingplatz wird es mir nicht verständlicher, was dieses Eingemaure mit Camping zu tun hat. Nichtsdestotrotz, Malge ist ein wirklich schöner Campingplatz und wir bekommen nach Tinas Bitte um ein romantisches Fleckchen die Waschbärbucht zugeteilt, die wir uns aber trotz der Hinweise und Warnungen unser Essen zu verstecken, nicht mit Waschbären teilen brauchen. Gefuttert haben wir dann übrigens im angeschlossenen Restaurant. Das hat zwar die Einkäufe überflüssig gemacht, mich aber auch als Abschluss eines fantastischen ersten Fahrtages für alle Strapazen entschädigt. Da ich allerdings kaum irgendwas als strapaziös empfunden habe, stellt dies natürlich keine Wertung der Küche dar. 😉 Ich hatte Spargel mit Kartoffeln für 13 Euro irgendwas – der Spargel war zart und ohne jeden Geschmack – ich mag die Mischung aus süßlich und säuerlich, also in Zucker und Essig gekocht. Die Kartoffeln verkocht und geschmacklos. Egal. Die Sonne scheint, wir sitzen am Wasser und haben den ersten Tag auf dem Rad ohne Blessuren überstanden. 

Blick-Entschädigung für den schäbigen Spargel

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So eine mehrwöchige Radtour will ja gut vorbereitet sein. Da müssen Entscheidungen getroffen werden, gegen die ist, sagen wir, ein Hausbau oder der Kauf der eigenen Grabstelle, Kindertheater. Sonntagsspaziergang quasi. Echt Pillepalle. Die Frage nach dem richtigen Rad (mit oder ohne Rohloff, Magura-Bremsen oder nicht, Brooks-Sattel oder lieber Gel), dem richtigen Zelt, dem richtigen Schafsack, der richtigen Isomatte wird ergänzt von ausufernden Überlegungen zu Radhosen, Oberbekleidung, Schuhen, Kochgeschirr dagegen, (an dieser Stelle imaginiere der geneigte Leser bitte das Zeichen für Endlos – die liegende Acht) – DAS sind existenzielle Grundsatzentscheidungen, die wir schon im vergangenen Jahr getroffen haben. Deswegen empfehlen wir übrigens allen Paaren, bei denen die Kommunikation mangels fehlender gemeinsamer Themen öde zu werden droht, unbedingt die Planung einer mehrwöchigen Radtour (muss man am Ende ja nicht in ihrer Gänze durchziehen. Verkürzen geht immer. Dann geht’s eben nicht in die Masuren, sondern am Sonntag nur zu den Schwiegereltern, beispielsweise). Es geht an dieser Stelle ja um die Planung. Und die, Kinners, rettet euch und eure Ehe. Ihr werdet über MONATE jeden einzelnen Abend der Woche was zu debattieren, diskutieren und recherchieren haben. Kleiner kostenloser Tipp an alle da Draußen, die ihre Hintern gerne mal wieder von der Couch hochkriegen würden wollen, denen es aber an einem einschlägigen Ziel mangelt. Oder glauben, “so was” nicht zu können. Glaubt uns – ihr könnt! Jeder kann – ruff uff den Drahtesel und los. Klappt. Geschwört.

Wir haben also geplant, obwohl einschlägige Reiseblogger und erfahrene Reiseradler dringend davon abraten. Weil planen genau genommen wenig bis überhaupt gar keinen Sinn macht. Weil? Richtig, werte Schwarmintelligenz. Weil’s sowieso immer anders kommt. Was wir übrigens durchaus teilweise bestätigen können. Wollten wir doch schon im vergangenen Jahr für mehrere Wochen als Radwanderer unterwegs sein. Für Mai war eine achttägige “Probetour” nach Prag geplant. Im Spätsommer wollten wir den kompletten Jakobsweg beradeln.

Als einschlägig bekannte Rampensau habe ich natürlich einen Partymuffel mit soziophoben Tendenzen an meiner Seite. Gegen meine spontanen Entscheidungen ist selten ein Kraut gewachsen. In diesem Fall hieß das: Komm, wir laden deine und meine und unsere Freunde und noch feierfähigen Familienmitglieder ein, mieten unsere Lieblingskneipe, bestellen Fingerfood beim Caterer und lassen es zum Abschied richtig krachen. Zwar haben wir die Idee überschlafen und Christian fand sie auch am nächsten Tag noch blöd. Na ja, vielleicht nicht blöd, aber zumindest ein wenig sehr, sehr, sehr übertrieben, aber ich hab mich durchgesetzt. Obwohl ich am Tag der Party erheblich kränkelte. Obwohl unser Getränkebudget bereits eine Stunde vor Mitternacht rettungslos überzogen war, war es für alle Gäste eine prima Party. Ich lag am folgenden Tag mit Erkältung flach. Sie meint eher den folgenden Sommer, aber dazu schreibt sie bestimmt gleich auch noch was… Weib, komm zum Punkt!. Tourstart um eine Woche verschoben. Dann doch noch losgefahren – und in der ersten Nacht einen Rückfall inklusive Fieber und Nasennebenhöhlenentzündung bekommen. Das Ende vom Lied: Wir sind in 2017 weder mit dem Rad nach Prag noch den Jakobsweg gefahren. Und das, obwohl ich mit Betty Blue ein sensationelles Rad (Christian wird bei Gelegenheit die technischen Daten verraten) habe.

Dieses Jahr gab es keine Abschiedsparty. Lediglich Teile von uns waren dieses Mal an der Tourenplanung beteiligt, verfügten über Insiderwissen wie – wann ist der Start und wohin soll es überhaupt gehen. Quasi nur der absolute Inner-Circle wurde eine Woche vor Abreise überhaupt darüber informiert, dass im Mai 2018 der Startschuss zur 1. Klingo-Castle-Tour fallen würde.

Und ganz so war es dann doch nicht. Denn ohne es ganz genau zu wissen, behaupte ich mal, das Tina schon als Kind nach ihren Geburtstagsgeschenken gesucht hat. Denn aus lediglich folgenden Randinformationen: Schatz, wir fahren Anfang Mai, 1022 Kilometer und durch 3 Länder hat Frau Schlaumeier das Ziel erraten… Und technische Details muss ich gar nicht mehr groß aufzählen, denn eigentlich hast Du sie alle genannt. Es ist ein 28er Rad, zusammengebaut von unserem Lieblings-Raddealer Steffen Linke, aus Stahl, mit Magura HS22 Bremsen und einer Rohloff Speedhub-Nabenschaltung. 

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