Tag 20 – von Antwerpen nach Kamperhoek



Blog


Die Tour


Über uns


Impressum

Tag 20- von Antwerpen nach Kamperhoek

Ja, ja, ich gebe es zu. Ein sonderlich großer Belgien-Fan bin ich nicht. Auch wenn wir hier durchaus die eine oder andere nette Begegnung hatten, die Stimmung ist irgendwie spürbar anders. Irgendwie deutsch eben. Das ging mir damals in Bulgarien schon so und Belgien fühlt sich für mich genauso an. Manchmal ist eben die eigene Stimmung nicht so doll, man ist nicht gerade freundlich oder aufmerksam. Und dann brauchen manche Menschen eben länger, um mit anderen warm zu werden. Gerade ich als Brandenburger kann ein Lied davon singen. (Du – und vor allem der wunderbare, der einzigartige Reinald Grebe. Wenn ich ihn zitieren darf: Es gibt Länder, wo was los is’ – Es gibt Länder, wo richtig was los ist und es gibt Brandenburg).
Aber dann kommt man in ein Land in dem alles viel wärmer zu sein scheint. Die Menschen sind spürbar besser drauf, die Gärten und Häuschen liebevoller und viel offener angelegt. Nichts schreit nach “Meins! Hau ab!” (Im Gegenteil. Jeder Busch, jeder Baum, jede Blume, ja, jede Dachpfanne und jeder Gartenzaun winken fröhlich und einladend: „Huhu! Guten Tag. Schön, dass du da bist. Willkommen. Herzlichst. Fühl dich wohl.“)
Das ist schon ein krasser Gegensatz zu einigen Teilen Deutschlands, in denen sogar Wohnwagen eingebunkert werden. Und dann folgt auf diesen wunderbaren Landstrich mit den tollen Menschen (Niederlande) ein Land, das wie zu Hause ist (Belgien). Wären die Niederländer genau solche Stiesel wie wir oder die Belgier, dann wäre mir das wahrscheinlich auch gar nicht so sehr aufgefallen. Aber so ist das eben, ein Völkchen sticht raus und plötzlich findet man das Gewohnte doof.   (Ich gehe einen Schritt weiter. Unser erster Kontakt mit belgischem Boden verpasst uns einen prompten Stimmungsdämpfer. Während Christian in gewohnter Toleranz bittet, dem kleinen Land – das übrigens auch ein Königspaar hat – eine Chance zu geben, habe ich mein Urteil nach weniger als 20 Minuten in Stein gemeißelt: Belgien ist grau, ungepflegt, wirkt ärmlich, unfreundlich und höchst resignativ.)

Ich würde gern noch mit dem Vorurteil aufräumen, dass es ja klar ist, dass die Niederländer so gut drauf sind, weil die ja ständig bekifft sind (Königsfamilie, mein Herzensmann, KÖNIGSFAMILIE!).Ehrlich gesagt, kann ich das aber gar nicht. Ich habe zwar keinen einzigen Coffee-Shop bewusst wahrgenommen, aber ob die eine oder andere unserer Begegnungen nicht gern mal einen raucht… ich weiß es nicht. Egal wie, wenn es den Deutschen und Belgiern zu einem Freundlichkeitsschub verhelfen würde, dann legalisiert doch endlich das blöde Grass.
Warum erzähle ich das eigentlich? Weil ich morgens bei der Planung noch 113 km bis Brügge ausgerechnet habe. Zuviel für einen Tag, zumal das Wetter nicht wirklich gut aussieht und wir heute Morgen echt lange zum Trocknen und Abbauen benötigen. Bis um 10 Uhr hat es geregnet und als wir dann mit unserem Tagwerk beginnen wollen, ist der Himmel noch immer so wolkenverhangen, dass wir jeden Moment mit einer neuen Dusche rechnen. Die restliche Wäsche muss noch mal in den Trockner – aber wir haben keine 50 Cent-Stücke mehr. (Einsatz für Miss Pragmatismus. Am Vorabend habe ich eine elegante blonde Dame Anfang 60 gesehen, die mit verkniffenem Gesichtsausdruck zwei Weinflaschen in den Container warf. Blöderweise ist sie am heutige Vormittag die einzige, die vor Wohnwagen mit Überdacht sitzt. Also marschiere ich mit dem Euro zu ihr und ihrem nach Erfolg und Arroganz aussehenden Mann und eröffne meine Charmeoffensive mit den Worten: „Would you please save my life?“ Ich höre schon meinen besten Freund sagen: Geht’s nicht ne Nummer kleiner? Nö. Geht’s nicht. Passt perfekt. Denn als ich mit Dackelblick die flache Hand ausstrecke, in der das ein-Euro-Stück blinkt und erkläre, mein Mann und ich seien mit dem Rad unterwegs, durch den Regen aber alle Klamotten nass und wir würden die gerne in den Trockner werfen, damit wir uns in dem nassen Zeugs nicht den Tod holen, weil wir ja schließlich noch bis nach Brügge wollen (puh. Einmal Luft holen), tja, also da fordert sie ihn auf, nach zwei fünfzig Cent Stücken zu gucken. Sie selber lächelt freundlich und dabei ungläubig. „By bike?“, hakt sie nach und ich nicke bescheiden. Sehr beeindruckt von diesem Ziel gibt sie mir den Rat, unbedingt noch Gent anzuschauen, eine ganz wundervolle Stadt. Und will wissen, was ich denn von Antwerpen halte? Ihr Mann ist in seiner Hosentasche (natürlich – Kerle wie er schleppen immer jede Menge Kleingeld in der Hosentasche mit sich rum.) fündig geworden und wir tauschen eins zu zwei. Ich halte mich bedeckt, was Antwerpen angeht, meine brachiale Offenheit könnte möglicherweise missverstanden werden. Die beiden sehen sich jetzt verliebt an und er sagt, dass sie seit 40 Jahren jedes Jahr für zwei Wochen hier auf dem Campingplatz sind. Antwerpen sei eine so fantastische Stadt. Aha. Ist uns bislang entgangen. Und plötzlich werfen sich die beiden so was wie einen verliebten Blick zu als er sagt, sie würden Antwerpen besser als Amsterdam kennen und sie dazu nachdrücklich nickt, da denke ich, wie reizend die beiden doch eigentlich sind. Sie wünschen eine erfolgreiche Fahrt, wiederholen, wie einmalig schön und dabei unterschätzt Gent ist und dann stolziere ich mit der lebensrettenden Beute zurück zu unserem Zelt. Wenn ich könnte, würde ich Wagners Walkürenritt pfeifen und dabei die zwei 50er fahnengleich schwenken. So drücke ich sie meinem Herrn der Wäsche bloß mit einem lässigen „erledigt“ in die Hand und stelle betont nebenbei die Frage, wie groß der Umweg über Gent eigentlich wäre.) Und so kommt es, dass wir erst gegen 13:00 Uhr starten können und somit meines Wissens wieder einmal einen Rekord aufgestellt haben.

Die Route wird jetzt also über Gent gehen und da wir beide keine wirkliche Lust auf belgische Dörfer haben, wähle ich die Route entlang einer stark befahrenen Hauptstraße. Einer zu stark befahren… Als wir in der kleinen Stadt Belveren unsere erste Pause machen, stellen wir fest, dass uns das beiden keine wirkliche Freude bereitet. (Und das liegt nicht an dem plötzlich hohen Polizeiaufkommen. Wir stehen an einem Kreisel, als uns drei VW-Busse versetzt und in unterschiedliche Richtung kurvend auffallen. Allerdings ohne Blaulicht. Während wir noch überlegen, ob wir eigentlich wirklich nach Gent müssen, hält einer der Busse, ein glatzköpfiger Polizist mit graumeliertem Hipsterbart lehnt sich aus dem Fenster und fragt auf belgisch oder flämisch oder was auch immer, ob wir zwei zu Fuß flüchtende Männer gesehen hätten. Einer trage ein Baseballcap. Ich schüttelte mit einem angemessen bedauernden Gesichtsausdruck den Kopf, setze ich „Sorry“ hinzu, ernte dafür ein freundlich-resigniertes „Danke“ und der Bulli verschwindet im Kreisverkehr. Ich ernte einen bewundernden Blick von Christian, der nachfragt, was den Gesetzeshüter den eigentlich gefragt hat und ich gebe mich verwundert, dass er die Frage nicht verstanden hat. Schrei du mal über Jahre Krimis, dann weißt du, was die Polizei dich fragt, wenn sie offensichtlich jemanden sucht. Es ist IMMER irgendwer auf der Flucht.) Wir entscheiden uns ohne Diskussion gegen Gent, bzw. gegen Belgien. Also planen wir kurzerhand um und unter Inkaufnahme eines zusätzlichen Tages bis Brügge entscheiden wir uns für eine Weiterfahrt über Niederlande. Der Vorteil dabei ist, dass die Campingplatzdichte in Belgien eher gering ist und wir in Holland sicher eine passende und preiswerte Unterkunft finden.
Trotzdem geht es noch eine Zeitlang erneut durch trostlose belgische Dörfer und über triste, schlecht gepflasterte Nebenstraßen, die uns aber nicht mehr so schlimm wie an unserem ersten Belgientag vorkommen. Denn – die bunten, freundlichen Niederlande winken. Immerhin gibt es auf diesem Abschnitt keinen Kanal, den die Belgier nach Lust und Laune mit Industriebauten zugepflastert haben. Eine letzte Versorgung mit Lebensmitteln und dann geht es wieder über die Grenze. Diesmal sogar mit einem von mir gewünschten Schlagbaum.

Ob wir uns das nun einreden oder nicht, die Stimmung wird dann auch gleich wieder schlagbaumartig besser und auch meine neuen Karten kommen nun zum ersten richtigen Einsatz. Ich kann jetzt endlich nach Knotenpunkten planen und um unser Ziel, einen auf der Karte ausgewiesenen Campingplatz zu erreichen, geht es wieder durch schöne Landschaft, deren städtischer Höhepunkt die Stadt Hulst ist. Sie ist, trotz auf dem flachen Land errichtet, komplett von Wasser umgeben. Wir stoppen in der Innenstadt an einer Sitzbank (In unmittelbarer Nähe einer Kirche, zu unserer rechten ein seltsames Kunstwerk, bestehend auf Enten oder Gänsen aus Bronze), und grübeln bei Brötchen mit Aufschnitt mal wieder über die Unterscheide der Niederländer zu den Belgiern, als uns ein Bataillon sehr alter Damen von unserem Platz vertreibt. Darunter auch drei Nonnen, die alle so gebrechlich sind, dass sie in Rollstühlen sitzen. Selten habe ich mich so deplatziert gefühlt wie in diesem Moment. Tina witzelt, hier sind gerade locker 2000 Jahre versammelt. Was der Grund für diese Ansammlung war, wissen wir bis heute nicht. Denn diese Gruppe ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass wir nicht einmal eine Chance haben nachzufragen. (Die Wahrheit ist eine andere: Wir trauen uns nicht. Ich bin fasziniert von der sanften Heiterkeit der uralten Frauen. Besonders eine sehr zierliche Dame mit schlohweißem Haar, in weißer Bluse und wadenlangem Rock, deren Rücken so gekrümmt ist, dass sie mit beinahe waagerechtem Oberkörper in kleinen Schritten gehen muss, berührt mich. Trotz ihres vermutlich biblischen Alters und ihrer offensichtlichen Gebrechen, von denen ich nur ahnen kann, wie schmerzhaft sie sein müssen, wirkt sie fröhlich und gelassen. Und während sie sich mit einer Hand an der Lehne der Bank abstützt und mit der anderen das Gesangsbuch oder eine Bibel festhält, scheint sie einen Scherz mit den zwei unwesentlich jüngeren Damen auf der Bank zu machen. Es ist ein leises Schnattern und plötzlich wird mir bewusst: Auch diese Damen waren alle mal junge Mädchen. Vielleicht sind sie zusammen zur Schule gegangen… Ich bedauere meinen fehlenden Mut, die Damen anzusprechen, in ein Gespräch zu verwickeln. Dagegen beschleichen Christian komische Fluchtgedanken, ihm ist das zu viel naher Tod auf einem Haufen. Er will nur weg.

So packen wir also zusammen und steuern unser neues Tagesziel, die Natuurkampeerterreinin Kamperhoek an. Ein letzter Einkauf in Vogelwaarde wird uns durch einen wahnsinnig gut gelaunten Mitarbeiter versüßt, der während unser gesamten Verweilzeit fröhlich ein Lied nach dem anderen im Radio mitpfeift.
Als wir dann endlich um 18.30 Uhr auf unserem Ziel ankommen, erwartete uns ein absolut fantastischer Campingplatz, der auf einem aktiven Bauernhof errichtet ist. Hier wird gleichzeitig Bio-Landwirtschaft und Beherbergung praktiziert, die ganz offensichtlich auf Familien oder ganze Schulklassen ausgerichtet ist. In 12 großen Zelten mit Luxusausstattung können bis zu 8 Personen schlafen und leben. Zusätzlich gibt es Hütten und eine liebevoll angelegte Zeltwiese. Da kann uns auch der inzwischen treue abendliche Regenschauer nicht die Freude verhageln. (Ich bin begeistert von dem Konzept, das u.a. vorsieht, dass Kinder für die Dauer ihres Aufenthaltes die Verantwortung für eines der zahmen Hasen übernehmen können. Vor jedem der Zelt steht nämlich ein mobiler Hasenkäfig.)
Die Distanz zu Brügge hat sich heute durch den Bogen über die Niederlande wieder ein bisschen erhöht, statt verringert. Aber es ist trotzdem ein toller Abschluss und keiner von uns ist unglücklich darüber, Belgien für einen Tag den Rücken gekehrt zu haben. Morgen werden wir allerdings nicht mehr drum herumkommen.

Herzlich Willkommen

Zur chaotisch-schönen Radreise des Klingo-Castle Teams. Begleite uns durch eine aufregende Berg und Talfahrt von Potsdam über Brügge nach Amsterdam.

Aktueller Status:

  • Unterwegs
  • Couch

Hier schreiben:

TINA

siehst du diese Farbe, liest du meine Gedanken oder Anmerkungen zu Christians Text.

Christian

siehst du diese Farbe, liest du meine Gedanken oder Anmerkungen zu Tinas Text.