Tag 22 – Ruhetag in Brügge



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Tag 22- Ruhetag in Brügge

Darf man dem Internet glauben, haben sich die knapp 118.000 Einwohner von Brügge (Stand 2017) längst mit den Touristenströmen – jährlich etwa 6 Millionen Besucher aus aller Welt – arrangiert, genau wie mit dem Überangebot an Pralinenshops, den Kutschen, den Booten auf dem Kanal… Man darf uns glauben, wenn wir schwören: Wir haben ein paar Dinge ausgelassen, die ein „echter“ Touri in diesem wunderschönen Unesco Weltkulturerbe glaubt erleben zu müssen: Wir haben weder 50 Euro für eine halbstünde Kutschtour durch den historischen Stadtkern investiert, noch die 8 Euro pro Person für eine etwa 25 minütige Bootstour. Wir haben uns die 12,50 Euro pro Person gespart, um vom Belfry den fantastischen Blick auf die mittelalterliche Stadt zu genießen. (2007, als Brendan Gleeson den Turm erklimmen wollte,  kostete der Eintritt übrigens noch 5 Euro.) Ok, ich konnte am Vortag nicht auf die belgische Waffel verzichten und heute, am späten Nachmittag, haben wir für 9 (in Worten neun!) Euro zwei Portionen belgische Pommes gegessen, die leider alles waren, nur nicht lecker. Egal. Abstriche gehören dazu.


Und so habe ich übrigens den Vortag erlebt: Christian fragt mich nach 50 Kilometern fahren, wie ich mich denn heute eigentlich fühle, so kurz vor dem Ziel. In mir toben seit dem Morgen so viele Empfindungen, dass ich sie nicht sortiert bekomme. Also sage ich „totales Emotionschaos“. Vermutlich hat er mit dieser Antwort gerechnet, denn er nickt nur und dann fährt er wieder vor und lässt mich mit der Gefühlsachterbahn alleine. Ich rufe mich zur Räson, jetzt nicht in Tränen auszubrechen, sondern das fahren zu genießen, den Moment, das Wissen, heute ist der Tag der Tage: Wir werden in wenigen Stunden Brügge erreichen. Ich erkläre meinem aufgewühlten, meinem anderen Ich, dass es doch schon auch schön wäre, sich zu freuen, statt sich in tränenreicher Überforderung zu suhlen. Überzeugt. Ich lächle probehalber. Für die Beckerfaust, kombiniert mit einem gellenden Yeaha-Schrei fehlt mir dann aber doch der Mut.
Und dann steht da auf einem Schild: „Brügge 20 km“. Natürlich muss ich das fotografieren. Genau wie das mit „Brügge 16 km“. Als es nur noch 9 Kilometer sind, verzichte ich auf ein weiteres Foto. Es geht am Kanal lang, vorbei an Kühen und Schafen und Hühner und doch habe ich keinen Blick mehr für das fröhliche Viehzeug. Ich starre geradeaus, bin auf Autopilot. Und dann: Brügge, Stadtgrenze. Wenn ein Ortseingangsschild geben sollte – ich habe es nicht gesehen. Ich fahre wie in Trance über eine der 14 Brücken Richtung Zentrum. Ich möchte wetten, meine Augen sind riesig, vermutlich steht mein Mund offen und geatmet habe ich ganz bestimmt auch nur alle 50 oder 70 Sekunden oder so.
Ich registriere aus dem Augenwinkel die vielen kleinen Hotels, die B&B-Schilder. Es geht am Kanal entlang, der den historischen Kern umschließt. Sind es viele Touristen an diesem Donnerstagnachmittag, die sich hier tummeln oder nicht? Vermutlich. Ich aber habe keinen Blick für die Menschen um mich herum, nur für die Architektur, für die Häuser. Selbst auf Christians „Wie unser Holländisches Viertel, nur in schön.“, antworte ich nicht. Staunen, fahren, Kopf rechts, Kopf links. Meine Augen sind überall, versuchen alles aufzunehmen und sind hemmungslos überfordert. Und dann stehen wir plötzlich auf dem weiten Rathausplatz. Und ja, wenn auf irgendwas Verlass ist, dann auf meine überbordenden Gefühlsausbrüche. Da rollen sie dann eben doch, die Tränen der Freude, der Überforderung, der Erleichterung. WIR SIND IN BRÜGGE.

Nach einigem Suchen haben wir dann unser „Hostel Lybeer“ gefunden, fünf Minuten zu Fuß vom Marktplatz, 196 Euro für zwei Nächte (ein echter Schnapper. Je nach Geldbeutel kann man auch locker das doppelte oder bei unbedingtem Luxuswillen eben das Zehnfache pro Nacht blechen.) Im Zimmerpreis nicht inbegriffen: Die Unterbringung von Betty & Silverstar. Aber, und das nenn ich mal vorbildlich, es gibt keine fünf Minuten vom Hostel entfernt (irgendwie scheint hier alles keine fünf Minuten entfernt zu sein), eine bewachte Tiefgarage, wo man die Räder für 24 Stunden parken kann. Kostenlos!

Kaum haben wir uns für das „Luxury Hostel“ entschieden und den Schüssel für Zimmer 4 (zweiter Stock, superenge Treppen) bekommen, beginnt es zu grollen und gleich darauf auch zu regnen. Während ich die Formalitäten erledige, schleppt Christian unsere acht Satteltaschen, das Zelt und die beiden Lenkertaschen nach oben. Wir wollen sofort die Räder in trockner Sicherheit wissen. Ich tippe trotz fehlender Brille selbstbewusst auf einen Punkt auf der Karte, den mir das junge Ding an der Rezeption aufgekringelt hat, und dann geht’s los. Aus alter Gewohnheit überlasse ich Christian die Führung.

Nun ja, bist du fremd in einer Stadt, versteif dich bloß nicht auf Zeit- und Distanzangaben der Einheimischen. Funktioniert nicht. Im Regen kurven wir von rechts nach links, suchen die Radgarage, finden sie aber nicht. Es nervt.

Tatsächlich gehört die Navigation innerhalb von Städten nicht unbedingt zu meinen Kernkompetenzen. Und ich weiß auch nicht, welcher Narr mich immer reitet, diese Aufgabe schnell mal eben meistern zu wollen. Städte überfordern mich und Brügge eben auf Grund der Tatsache, dass hier so unglaublich viele verschiedene Eindrücke auf mich einprasseln noch viel mehr. In Dörfern oder kleinen Städten ein Zentrum zu finden ist meist leicht. Such dir den Kirchenturm heraus und dann hast Du auch den Ortskern. Aber was, wenn da 10 Kirchtürme sind? Dann muss man sich Details merken und da bin nicht sonderlich gut drin. Wenn jetzt noch der Druck des Regens dazu kommt, mache ich ganz automatisch Flüchtigkeitsfehler. Aber…
am Ende finden wir den Eingang natürlich doch noch, schließen unsere treuen Gefährte mit etwas mulmigen Gefühl aneinander und sind zu spät, um noch was im Supermarkt einkaufen zu können. Als wir fast eine dreiviertel Stunde später tropfnass in unserem winzigen Zimmer sind, hopsen wir schnell unter die Dusche und schleppen unsere restlichen Lebensmittel – Nudeln, Tomaten, eine Ecke Zuccini, zwei Lauchzwiebeln – in die Hostelküche und kochen unser Abendbrot. Christian nimmt das hauseigene Bier (flotte 4 Euro für 0,33 l) ich einen Weißwein (mit 3,50 Euro irgendwie fast ok) – und sind beide nicht begeistert, was uns hier geschmacklich für zu viel Geld geboten wird. Aber, hey, Brügge ist eine DER Touri-Städte überhaupt. Da darf man nicht ernsthaft für Preise diskutieren. 
Was ich natürlich trotzdem tue. Ich finde die Preise nämlich wirklich schwierig und bin selten gewillt, solchen Wucher auch noch zu unterstützen. Ich weiß, dass ich da manchmal eine Spaßbremse bin, aber solche Touriabzocke finde ich einfach blöd. Brügge ist nach der Versandung des Nordseezugangs im 16ten Jahrhundert absolut verarmt und es lag praktisch im Koma, bis ein findiger Geschäftsmann kam, dessen einzige Leistung es war, die Stadt zu einer touristischen Atraktion zu erklären und seit dem wird bares Geld in rauen Mengen gescheffelt. Inzwischen ist es für viele der ursprünglichen Einwohner überhaupt nicht mehr finanzierbar dort zu wohnen. Ein Schicksal, welches Brügge mit Prag und vielen anderen Städten solcher Art teilt. Eine Stadt ist für mich aber mehr als ein paar Häuser und Museen. Es gehört eben auch seine Einwohner dazu und die verschwinden nach dem Einsetzen der Massen. Was übrigbleibt, ist dann oftmals nur ein großes Museum ohne eigenes Leben. Im Falle von Brügge ist dies vielleicht etwas übertrieben, aber wir sind eben auch noch nicht am Ende der Fahnenstange was Wochenendtrips, Billigflugangebote und Kreuzfahrten angeht. Ich frage mich allerdings wie Menschen, dessen Budget knapper als das unsere ist, jemals in den Genuss einer solchen Sehenswürdigkeit kommen können? Irgendwie erinnert mich das an zu Hause, wo ja gern einigen Menschen mangelndes Interesse für Kultur und daher eine Spezialisierung auf Nachmittagsfernsehen vorgeworfen wird, aber zeitgleich Theater- und Konzertkarten für die Masse immer schwerer zu finanzieren sind. Ja liebe Kulterschaffende: Wenn Menschen bereits beim Kauf eines Bahntickets den Restmonat durchzurechnen beginnen, braucht ihr Euch nicht wundern, dass sie kaum für 39€/Person in die deutsche Oper stürmen.Was ich natürlich trotzdem tue. Ich finde die Preise nämlich wirklich schwierig und bin selten gewillt, solchen Wucher auch noch zu unterstützen. Ich weiß, dass ich da manchmal eine Spaßbremse bin, aber solche Touriabzocke finde ich einfach blöd. Brügge ist nach der Versandung des Nordseezugangs im 16ten Jahrhundert absolut verarmt und es lag praktisch im Koma, bis ein findiger Geschäftsmann kam, dessen einzige Leistung es war, die Stadt zu einer touristischen Atraktion zu erklären und seit dem wird bares Geld in rauen Mengen gescheffelt. Inzwischen ist es für viele der ursprünglichen Einwohner überhaupt nicht mehr finanzierbar dort zu wohnen. Ein Schicksal, welches Brügge mit Prag und vielen anderen Städten solcher Art teilt. Eine Stadt ist für mich aber mehr als ein paar Häuser und Museen. Es gehört eben auch seine Einwohner dazu und die verschwinden nach dem Einsetzen der Massen. Was übrigbleibt, ist dann oftmals nur ein großes Museum ohne eigenes Leben. Im Falle von Brügge ist dies vielleicht etwas übertrieben, aber wir sind eben auch noch nicht am Ende der Fahnenstange was Wochenendtrips, Billigflugangebote und Kreuzfahrten angeht. Ich frage mich allerdings wie Menschen, dessen Budget knapper als das unsere ist, jemals in den Genuss einer solchen Sehenswürdigkeit kommen können? Irgendwie erinnert mich das an zu Hause, wo ja gern einigen Menschen mangelndes Interesse für Kultur und daher eine Spezialisierung auf Nachmittagsfernsehen vorgeworfen wird, aber zeitgleich Theater- und Konzertkarten für die Masse immer schwerer zu finanzieren sind. Ja liebe Kulterschaffende: Wenn Menschen bereits beim Kauf eines Bahntickets den Restmonat durchzurechnen beginnen, braucht ihr Euch nicht wundern, dass sie kaum für 39€/Person in die deutsche Oper stürmen.

Wir sitzen also da, nippen an unseren Getränken, beobachten die vielen vor allem jungen deutschen Gäste und realisieren nur mühsam, dass wir es wirklich geschafft haben. Wir sind in Brügge. Als es gegen 22 Uhr aufhört zu regnen, raffen wir uns auf, die nächtliche Märchenstadt wenigstens ein bisschen zu erkunden.

Wir finden den Turm, aus dem Brendan Gleeson als Auftragskiller Ken stürzt. Auch einige andere Motive aus „Brügge stehen und sterben“ entdecken wir. Diese Stadt ist unwirklich in ihrer mittelalterlichen Pracht und übervoll mit Eindrücken geht’s nach zwei Stunden zurück in unser winziges Zimmer. Ich bin froh, dass wir nicht auf einem Campingplatz sind.


Heute ist also unser offizieller Brügge-Ruhetag. Aber natürlich kann man nicht ernsthaft von Ruhe sprechen, wenn man mit tausenden Touristen durch die Straßen pflügt. Ich schlafe mal wieder länger als ich eigentlich will. Christian war schon bei den Rädern (alles ok) und im Supermarkt (Preise wie in der Apotheke), es gibt unser übliches Frühstück in einem winzigen Innenhof. Der Himmel ist enttäuschend bedeckt, es ist diesig, die Luft riecht nach Regen. Strahlend blauer Himmel wäre die perfekte Kulisse für die mittelalterlichen Steinbauten gewesen. Wir lassen uns ohne konkretes Ziel treiben, gehen mal links, mal rechts, versuchen den Touristenströmen auszuweichen, spotten und staunen und bewundern. Landen in einem winzigen Gebäude mit verwunschenem Innenhof, der direkt an den Kanal grenzt. Es ist so verdammt romantisch, hier könnte ich Weltbestseller schreiben. Mindestens. Blöderweise ist David de Graef schneller gewesen und hat das verwinkelt-romantische Häuschen aus einer anderen Zeit gemietet. Hier entstehen verstörenden Bilder, jenseits der Moral, aus einer Parallelwelt, die gleichzeitig faszinieren und verstören. Er ist ein freundlicher, zierlicher Mensch mit flatterigem Silberhaar. Einem Gespräch ganz offensichtlich nicht abgeneigt – allerdings hat ihn sich bereits ein Pärchen gekrallt und der weibliche Part schießt mit bösen Blicken um sich. Mir fehlt es heute an Lässigkeit, um diese offensichtliche Aufforderung, sie gefälligst mit dem Künstler alleine in dem Raum zu lassen, zu ignorieren. Ich schleiche um die großformatigen Paintbrush-Bilder in Sepia herum, formuliere all die Fragen, die ich ihm stellen möchte, im Kopf – um dann nach 15 Minuten vergeblichen Wartens resigniert aufzugeben. Ich habe das Gefühl, eine große Chance vertan zu haben.
Christian hat draußen rauchend auf mich gewartet, Touris beobachtet und ist nicht so richtig happy mit den vielen Menschen. Ich kann die heute alle wunderbar ausblenden. Im bummeligen Schlenderschritt geht’s über ein kleine Brücke. Waren wir hier schon mal?
Oder zweimal?

Haben wir dieses Gebäude nicht gerade erst von der anderen Seite bewundert? Was an Eindrücken an diesem Tag auf uns einprasselt, ist überwältigend. Eine ehemalige Kirche, die jetzt Partylocation ist. Eine hochmoderne Brücke, die aus weißen Dreiecken an Stahlseilen an einen mehrmastigen Schoner erinnert. Ein sich aus dem Kanal erhebender Wal – weißer Rücken, blauer Bauch – aus vor Haiwaiis Küsten gesammelten Tonnen von Plastikmüll. Die Architekten Jason Klimoski und Lesley Chang vom New Yorker StudioKCA haben anlässlich der zweiten Kunst-Triennale dieses spektakuläre wie gigantische Mahnmal gegen den Klimawandelt konstruiert. Ja, auch Christian lässt sich zur Free-Willy-Geste hinreißen. Ob sich der monströse Plastik-Wal tatsächlich zum Selfie-Magneten entwickelt? Ich jedenfalls lasse unser Deppenzepter stecken. Genieße die Kunst lieber pur, will das Foto irgendwann ohne unser dümmlich-verzücktes Grinsen betrachten.
Einen weiteren Beitrag der diesjährigen Kunsttriennale entdecken wir einige Stunden später, den orange-pinkfarbenen „Selgascano pavilion“. Eine meiner Meinung nach nicht wirklich durchdachte Installation der spanischen Architekten José Selgas und Lucia Cano (beide Jahrgang 1965). Es soll ein idealer Erholungsort auf dem Kanal sein. Entschuldigung, schon mal bei 28 Grad im Schatten unter Plastik gegessen? Nicht? Na, dann viel Spaß beim Schwitzen bis zum Erstickungstod.

Der Selgascano pavilion – ein oranger Lindwurm auf einem nicht sonderlichen belebten Seiten-Kanal
Free Willy – von den New Yorker Architekten anlässliche der zweiten Kunst-Triennale in Brügge erschaffen

Wir gucken und staunen und starren und bewundern weiterhin, schlendern, bleiben stehen, diskutieren, bewundern noch mehr und am Ende haben wir sechs Stunden lang gefühlt sämtliche Straßen von Brügge einmal
oder zweimal!
abgelaufen. Und haben dabei nur einen Bruchteil dessen gesehen, was dieses Kleinod zu bieten hat.
Manches aber auch zweimal.
So verpassen wir bedauerlicherweise das Museum der flämischen Meister, darunter mit Werken von Jan van Eyck, über den ich gerade ein spannendes Buch gelesen habe. Wie wir überhaupt auf einiges verzichten, nicht nur, weil der Boden unserer Tourkasse mittlerweile sehr sichtbar ist, sondern weil uns einiges unangemessen teuer erscheint. Einmal ins Diamantenmuseum – 12 Euro pro Person. Och, nö. Christian will mir sowieso kein Brilli-verziertes Armband schenken. Und ganz ehrlich – wen interessiert ein Schokoladenmuseum? Uns jedenfalls nicht. Obwohl: Hätten wir Diamanten und Schoki kombiniert, wären es nur 14 Euro pro Person gewesen.
Um ehrlich zu sein: Selbst für eine vergleichsweise kleine Stadt wie Brügge braucht man wenigstens drei Tage, um ernsthaft sagen zu können, sie erlebt zu haben. Aber die Wahrheit ist auch: Wir sind nach diesem Tag nur noch platt und so voller Eindrücke, dass wir wissen, mental packen wir keinen weiteren Tag, haben jetzt schon den kompletten Overflow. Deswegen geht’s auch morgen weiter Richtung Amsterdam. Sind noch knapp 190 Kilometer, als gut 3 entspannte Radel-Tage.
Als wir nach dem Abendessen – wieder gekocht in der Hostel-Küche – zusammensitzen, ziehen wir ein müdes, aber glückliches Resümee, das da lautet: Brügge ist eine einzigartige, eine spannende, aufregende Stadt. Es hat sich absolut gelohnt. Und ja, ich würde auch noch ein zweites Mal her kommen. Vielleicht eher im Herbst? Ach, absurd zu glauben, dass es dann weniger Touristen hierher treibt.

Plötzlich überkommt mich eine grenzenlose Erschöpfung. Und die hat nichts mit dem heutigen Pflasterlaufen zu tun. Mir wird auf einmal klar, dass ich nicht mehr mag. Wir haben unser großes, unser erstes gemeinsames Ziel erreicht. Amsterdam erscheint mir plötzlich als Bürde. Ich schiebe den Gedanken beiseite, dass ich jetzt eigentlich lieber nach Hause möchte und verschweige auch Christian das Gefühl der Motivationslosigkeit. Ich bin vermutlich einfach nur müde.

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Tag 19 – Ruhetag in Antwerpen



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Tag 19- Ruhetag in Antwerpen

Als ich aufwache, war Christian schon beim Supermarkt, hat kleine Obstkuchen und Käsekuchen und zwei Kerzen (eine drei, eine zwei) gekauft und ich bin gerührt. Das Handy, was ich tagsüber ausschließlich als Kamera nutze, bleibt auch an diesem Morgen aus. Ich habe Geburtstag und bin froh, ihn nicht zu feiern, sondern nur zu genießen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und meine neue Bekannte vom Vorabend aus dem Waschraum lädt Christian und mich auf einen Espresso ein. Mary und Robert aus München urlauben seit 15 Jahren mit ihrem kleinen Wohnwagen (Knutschkugel) durch die Weltgeschichte und ich hatte mich schon gestern in das fahrende Zuhause verknallt. Heute kann ich es mir von innen ansehen und bin entzückt. Ein echte Alternative zum Zelt – in zehn Jahren oder so.

Geburtstagsfrühstück auf Belgisch: So kann man das neue Lebensjahr auch ganz wunderbar feiern

Wir stehen also zusammen, plaudern ein bisschen und dann schließen wir uns Mary und Robert, die ihre Räder dabeihaben, spontan auf deren Weg zum MAS (Museum aan de Stroom) an. Wir haben große Lust mit diesen beiden reizenden Bayern ein paar Stunden zu verbringen. Der definitive Vorteil: Mary recherchiert viel und gerne und erfolgreich. Deswegen weiß sie auch, dass es in unmittelbarer Nähe des Campingplatzes eine kostenlose Fähre gibt. Und die nutzen wir, um die Schelde zu überqueren. Schon vor Abfahrt der Fähre kommen wir ins Gespräch mit einem bärtig-bärigen Brillenträger Mitte 40. Der Sohn eines Pastors ist in Antwerpen hängen geblieben, lebt hier seit 30 Jahren und überschüttet uns mit Informationen, von denen bei mir nur hängen bleibt: In den kommenden Jahren wird das Ufer begrünt, werden die alten Lagerhallendächer abgerissen. Und: Antwerpen ist die Stadt der Gegensätze. Sie galt lange als das Venedig Belgiens, bis in den 70er Jahren viele historische Gebäude, die vom Krieg verschont geblieben waren, abgerissen wurden und durch scheußliche Hochhäuser ersetzt wurden. Und: Das neue Lotsenhaus sieht aus wie ein gestrandetes Schiff mit einem aufgesetzten Diamanten. Und dann noch dieses: In Rotterdam darf jeder ein Hochhaus bauen, solange es sich nur von denen unterscheidet, die bereits existieren. Was unser selbsternannter freundliche Stadtführer eigentlich arbeitet, wissen wir nicht. Ich glaube, er sollte Stadtführer sein. Ein unglaubliches Wissen geballt in einem netten Kerl. Wir lernen auch, das Antwerpen nie in der Hanse war, weil sie die Zölle und Gebühren nicht mit den anderen Mitgliedern teilen wollten.

Vermutlich DAS Wahrzeichen von Antwerpen: Der beeindruckende Kubus MAS (Museum aan de Stroom)

In wenigen Minuten ist die Schelde überquert, wir rollen von Bord und steuern das MAS an. Ich kann mich selten bis nie für moderne Architektur begeistern. Ich stehe mehr auf Jugendstil und so. Aber das MAS-Bebäude mit seinen roten Granitsteinen, die übrigens aus Indien stammen und nur noch ein einziges Mal in Europa verbaut wurden, und zwar in Berlin, das beeindruckt mich. Die (derzeit) 3184 silbernen Hände, die von weiten wie Nietnägel in den Quadern aussehen, die gewellten Glasfassaden – das ist schon einmalig und sehr beeindruckend. Wir fahren mit den Rolltreppen Stockwerk um Stockwerk nach oben, bewundern die riesigen von Rubens inspirieren Fotos vom belgischen Künstler Athos Burez deren Farbintensität und Motive von einer brachialen Wucht und gleichzeitig zarten Komposition sind (ja, ich kann auch in Kunstkritik.) Von oben betrachtet hat Antwerpen die selbe Wirkung wie am Vortag: Irritierend, auf gar keinen Fall anziehend. Es ist ein chaotisch-kreatives Bild, was sich uns darbietet und wir wissen bis zu unserer Abfahrt nicht, was wir von dieser Stadt eigentlich halten sollen. Der Aufstieg zur Dachterrasse ist übrigens umsonst. Eintritt muss man nur für das eigentliche Museum bezahlen. Als weiteres kostenloses Highlight kann man sogar noch eine Etage mit derzeit nicht ausgestellten Objekten besuchen und bekommt somit als Bonus einen Blick hinter die Kulissen des Museums. Das MAS ist definitiv einen Besuch wert, auch wenn wir unzähligen Schulkindern begegnet sind, deren Lehrer wohl bei dem halbherzigen Wetter keinen rechten Bock auf klassischen Unterricht hatten.

Christian, Mary und Robert (v. li. n. re.) bekommen vom freundlichen Deutsch-Belgier Infos zu Antwerpen

Es wird kühler, wir finden den perfekten Kartenladen und kaufen endlich eine gescheite Radkarte und können die von der Tankstelle dem Müll überlassen. Ich möchte noch in die Peter-und-Paul-Kirche. Auch wenn mich schon 1996 als Atheistin durchaus wohl fühle und mit Kirche als Institution nichts am Hut habe – die Gebäude faszinieren mich immer aufs neue. Weil ich mir immer bewusst bin, was die Menschen vor vielen Jahrhunderten ohne modernste Technik geschaffen haben. Ob es Holzschnitzereien oder Steinarbeiten sind – ich verneige mich voller Ehrfurcht vor den Erbauern, Erschaffern, den Künstlern. Hier sind es vor allem die dreidimensionalen Holzschnittarbeiten vom Leidensweg Christi. Die Brutalität der Geschichte wird für mich fühlbar wie nie zuvor. Der Sohn Gottes scheint mit jedem der 13 Bilder zu altern. Die Gesichter der geschnitzten Figuren sind von beunruhigender und erschütternder Lebendigkeit. Sie sind bedrückend und gleichzeitig faszinierend. Gerne würde ich über das dunkelbraune Holz streichen, die Linien der Gesichter, der Kleider mit den Fingerkuppen erkunden – aber natürlich tue ich es nicht. 

Mary und Robert verabschieden sich noch in der Kirche flüsternd mit inniger Umarmung von uns – sie wollen weiter. Wir haben Handynummern und Emailadressen getauscht und werden versuchen, in Kontakt zu bleiben, uns vielleicht noch mal zu treffen. Kaum sind die beiden weg, vermissen wir sie schon. Sie sind uns in wenigen Stunden ans Herz gewachsen.

Als wir die Kirche verlassen, ist mir so kalt, dass ich den nächstbesten Klamottenladen entere, von einer jungen Schäferhündin aufs stürmischste begrüßt werde und innerhalb von sieben Minuten den Laden mit einem langärmeligen giftgrünen Pulli mit V-Ausschnitt für 29 Euro wieder verlasse. Auf der Suche nach einem Fahrradladen (Christian will seit Tagen sein defektes Rücklicht ersetzen), bekommen wir einen kleinen Eindruck vom anderen, vom quirligen, bunten, individuellen und kreative Antwerpen. Aber mir fehlt die Lust, jetzt noch zu bummeln. Auch im dritten Radladen wird uns nicht weitergeholfen. Hier sind sie inzwischen so auf E-Bikes fokussiert, dass ein schlichtes zu verkabelndes Rücklicht nicht zu haben ist. Nie bekomme ich, was ich will!!! Ich hätte auch ein giftgrünes Rücklicht genommen, aber nix da. In Antwerpen werde ich einfach nicht fündig. Ich bekomme langsam das Gefühl, analoge Fahrräder sind  out. Zurück auf unserem Zeltplatz wird gekocht, gegessen und dann komme ich nicht mehr drum rum: Ich höre meine Mailbox ab, freue mich über die vielen lieben Glückwünsche zum Geburtstag (und bedanke mich in den kommenden Tagen sukzessive bei jedem per sms). Beim anschließenden Mega-Kniffel verkünde ich meinen Entschluss fürs kommende Jahr: Ich will nicht nach Kuba fliegen, sondern eine große Radtour machen. Christian lächelt milde und ich glaube, auch ein bisschen fröhlich. Aber jetzt geht’s erst mal nach Brügge. Und zwar in nur noch zwei Etappen.

Egal ob von oben oder unten: Antwerpen ist irritierend ob seiner chaotischen Architektur

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Tag 16 – Ruhetag in Arcen



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Tag 16- Ruhetag in arcen

Endlich mal wieder in einem richtigen Bett geschlafen. Was für eine Wohltat. Als ich gegen 10.15 Uhr vorsichtig in den Tag blinzle, bin ich alleine im Zimmer, läuft der Fernseher ohne Ton und liegt ein leichter Duft nach frischen Brötchen in der Luft. Mein wunderbarer Lebensmensch hat mich ausschlafen lassen – und mich gleichzeitig mit allem versorgt, was ich für einen guten Start in diesen historisch bedeutsamen Tag brauche: Was zwischen die Kiemen und den Sender, der die Hochzeit von Prinz Harry und der amerikanischen Schauspielerin Meghan Markle übertragen wird. Überraschenderweise langweilt mich das aber ziemlich und Hunger habe ich auch noch nicht. Ich werde zwar im Laufe der kommenden Stunden immer mal wieder vom Frühstücksraum nach oben in Zimmer 4 gehen, um einen Blick aufs Hochzeitskleid zu erwischen, aber wirklich gefesselt bin ich nicht. Offensichtlich haben sich Prioritäten verschoben. Sollte mich das beunruhigen?

Arcen hat echt romantische Ecken: Zum Beispiel “Kasteeltuinen”, ein wunderschönes Wasserschloss

Wir verbringen den halben Tag damit, Artikel für den Blog zu schreiben. Am frühen Nachmittag haben wir kein Sitzfleisch mehr und schlendern durch die Straßen, die voller deutscher Touristen und einer Horde holländischer Junggesellen auf Abschiedsparty sind. Der Bald-Ehemann macht sich zum Mega-Deppen, indem er – in Cargo-Hose, Muskelshirt und schwarzer Langhaarperücke – über das Pflaster robbt wie ein Soldat in der Grundausbildung und noch einige andere idiotische Dinge tut. Alles mit größter Begeisterung und unter Beifall der Touristen, die die vier Restaurants am Platz befüllen. Ich lade uns zum essen ein, lerne mühsam „Dank je wel“ richtig auszusprechen und scheitere rettungslos an „alsjeblieft“ (Bitte), verliebe mich in unsere blonde Bedienung und bin sowieso total verknallt in die Niederlande im allgemeinen und das holländische Dasein im Besonderen. Das Örtchen Arcen ist ein Touri-Magnet und wir kosten es in vollen Zügen aus. Erkunden im Bummelschritt die Sehenswürdigkeiten, allen voran das Wasserschloss, bestaunen alte Kutschen, werden höflich darüber aufgeklärt, dass hier eine geschlossene Gesellschaft feiert und wandeln entspannt entlang des Wassergrabens mit den riesigen Rhododendronbüschen. Zum Abschluss geht’s noch ein bisschen am Wasser entlang und ein entspannter Ruhetag geht seinem Ende entgegen. Ich freu’ mich auf morgen, wieder auf dem Rad zu sitzen und obwohl ich letzte Nacht 13 Stunden geschlafen habe, falle ich um 22 Uhr schon wieder ins Bett. Ich schlafe ein mit der überraschenden Wahrnehmung, überhaupt keine Rückenschmerzen mehr zu haben.

Noch mehr Wasserschloss in Arcen

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